Vorbei sind die Zeiten von Pirmin Zurbringen, Vreni Schneider, Mike von Grünigen oder Didier Cuche. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen die Schweiz der Übermacht Österreich im Skifahren noch Paroli bieten konnte.
Für den am Samstag startenden Weltcup-Winter sieht es düster aus. Die Schweiz wird sich im Nationencup statt mit Italien und der USA um Rang 2, mit Schweden um Rang 5 streiten. Österreich, Italien, die USA und Frankreich sind auf dem Papier deutlich besser aufgestellt. Die Schweiz als Top-Skination? Das war einmal.
Die Schweiz hat seit 1992 hinter den überlegenen Österreichern (299'965) am zweitmeisten Weltcup-Punkte (143'808) gesammelt, Italien (131'977) holt mit seiner Südtiroler-Fraktion aber immer weiter auf.
Die bislang schlechteste Weltcup-Saison zog die Schweiz 2013 ein. Gerade mal 3399 Punkte und der beschämende Rang 7 resultierten am Ende der Saison. In ähnliche Regionen könnte es im kommenden Winter wieder gehen.
Alleine durch die Rücktritte von Défago, Gisin und Co. fallen über 1000 Punkte weg. Letzte Saison holte die Schweiz noch 5362 Zähler, in diesem Winter dürften es nicht nur wegen den Rücktritten bedeutend weniger werden.
Bei den Männern hatte in der Vorbereitung praktisch das ganze Kader mit Verletzungssorgen zu kämpfen. Ob und wie sich die angeschlagenen Spitzenathleten Patrick Küng, Beat Feuz und Carlo Janka in einem Winter ohne Grossereignis verausgaben, ist fraglich.
Bei den Frauen ist beängstigend, dass es an der Spitze kaum noch Athletinnen gibt: Gerade mal Lara Gut, Fabienne Suter, Wendy Holdener und Michelle Gisin haben es entweder in die Nationalmannschaft oder das A-Kader geschafft. Der Erfolg des Frauenteams hängt praktisch allein von der Form dieses Quartetts ab. Die Breite für gute Teamergebnisse fehlt.
Die Abfahrt war in den vergangenen Jahren die beste Schweizer Disziplin. Sie wird es auch im kommenden Jahr sein, mit regelmässigen Siegen oder Podestplätzen darf aber trotzdem nicht gerechnet werden.
Der in der letzten Saison erfolgreichste Schweizer Abfahrer, Beat Feuz, fällt mehrere Monate aus, nachdem er sich bei einem Trainingsunfall am 30. August in Chile, einen Teilabriss der rechten Achillessehne zugezogen hat. Nach der erfolgreichen Operation im September meinte Feuz:
Patrick Küng, der aktuelle Abfahrts-Weltmeister, hatte in der Saisonvorbereitung ebenfalls mit Verletzungspech zu kämpfen. Im Konditionstraining Ende Juli zog sich Küng eine Verletzung der Patellasehne zu. Er hofft auf den Saisonstart bereit zu sein – einen Grossteil der Vorbereitung verpasste er trotzdem.
In der Vorbereitung hatten mit Carlo Janka und Sandro Viletta auch die weiteren Schweizer Abfahrer Verletzungspech und mussten pausieren. Bei Carlo Janka ist immerhin Besserung in Sicht, auf den Riesenslalom in Sölden verzichtet er aber: «Die Reha zu unterbrechen macht zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn. Ich will Ende November topfit in die Abfahrtsaison starten.»
Im Super-G fällt der Rücktritt von Didier Défago noch stärker ins Gewicht als in der Abfahrt. Dank fünf Top-10-Plätzen war Défago der beste Schweizer Super-G-Fahrer des vergangenen Winters.
Dahinter hat man als Podestanwärter lediglich den angeschlagenen Carlo Janka in den Startlöchern, er fuhr in der letzten Saison auf die Ränge 4,6,8 und 9. Den weiteren Athleten sind lediglich Platzierungen in den Top 10 zuzutrauen.
Im Riesenslalom ruhen die Hoffnungen ebenfalls auf Carlo Janka. Der Obersaxer fuhr 2014/15 immerhin auf die Plätze 6 und 7. Das Potential für ein Podest hätte ein fitter Carlo Janka auf jeden Fall. Mit welchen Ambitionen der Gesamtweltcupsieger von 2010 überhaupt Riesenslalom trainiert und fährt hängt von seiner Gesundheit ab.
In der jungen Riesenslalom-Equipe steckt dennoch einiges Potenzial, das auch im Hinblick auf die Heim-WM 2017 in St. Moritz Hoffnungen nährt.
Als Beispiele dafür dienen die Einstufungen von Gino Caviezel oder Justin Murisier in der Weltcup-Startliste. Der Bündner, vor einem Jahr in Sölden noch mit der Nummer 44 gestartet, gehört nunmehr der ersten Gruppe an. Der Walliser hat im vergangenen Oktober die Nummer 55 getragen, liegt mittlerweile aber auf Platz 33.
Trotz suboptimaler Startposition hatte Murisier mit Rang 12 seiner durch zwei Kreuzbandrisse ins Stocken geratenen Karriere eine erste Wiederbelebung verschafft. Wie Murisier sind auch der Prättigauer Manuel Pleisch (Rang 31) und Elia Zurbriggen (Rang 35) auf dem Sprung in die ersten 30 der Startliste.
Zudem gehört mit Loïc Meillard ein noch nicht 19-jähriger Fahrer zum Aufgebot von Swiss-Ski, der als eines der grössten Talente überhaupt gilt. Der in Neuenburg geborene und nunmehr im Wallis lebende Meillard hat im März an den Junioren-Weltmeisterschaften in Hafjell (No) einen kompletten Medaillensatz gewonnen. Dank Rang 3 in der Disziplinen-Wertung des Europacups verfügt er in diesem Winter über einen fixen Startplatz in den Weltcup-Riesenslaloms.
Der Slalom bleibt die Schweizer Sorgendisziplin. Der 22-jährige Daniel Yule sorgte vergangenen Winter mit drei 10. Rängen immerhin für einen Lichtblick. Podestplätze darf man in dieser Saison jedoch noch keine Erwarten.
Das Limit von Luca Aerni dürften ebenfalls die Top 10 sein. Ramon Zenhäusern (Jahrgang 92), Bernhard Niederberger (Jahrgang 93), Justin Murisier (Jahrgang 92) und Reto Schmidiger (Jahrgang 92) holten letztes Jahr vereinzelt Punkte, kämpfen aber vorerst um bessere Startpositionen. Sie sind alle in einem Alter, in dem der langsam aber sicher der Durchbruch nach vorne gelingen sollte.
Das Abfahrtsteam der Frauen hat mit Dominique Gisin, Nadja Kamer und Marianne Abderhalden gleich drei Rücktritte zu verkraften. Es bleiben Lara Gut und Fabienne Suter, beide haben das Potential ganz nach vorne zu fahren. Der Druck wird jedoch auf diese Saison nochmals grösser – das starke Team fehlt.
Im Super-G gibt es praktisch identische Voraussetzungen wie in der Abfahrt. Die Last ist jedoch noch etwas stärker auf die Schultern von Lara Gut verteilt, Fabienne Suter ist in der Abfahrt deutlich stärker einzuschätzen als im Super-G. Priska Nufer holte im letzten Jahr immerhin 26 Punkte, mehr als vereinzelte Zähler dürfen aber auch in diesem Winter nicht erwartet werden.
Der Riesenslalom war in der vergangenen Saison die Sorgendisziplin der Schweizer Alpin-Frauen. Daran wird sich voraussichtlich auch auf die neue Saison hin nichts ändern. Mit dem Rücktritt von Dominique Gisin fällt sogar die beste der letzten Saison weg.
Die Hoffnungen Ruhen auch hier auf Lara Gut, die in ihrer Karriere bereits einen Riesenslalom gewonnen hat – vor zwei Jahren in Sölden. Nach den schwachen Resultaten in der vergangenen Saison ist es zu bezweifeln, dass die Tessinerin erneut ein derart gutes Resultat einfährt.
Im Slalom hat sich Wendy Holdener langsam an der Weltspitze etabliert. In Kühtai ist sie im vergangenen Winter das erste Mal auf das Podest gefahren. Ist die 22-Jährige dieses Jahr reif für den ersten Sieg?
Die ebenfalls 22-jährige Michelle Gisin fuhr letzte Saison bereits drei Mal in die Top 10. Wenn sie sich an der Spitze etablieren kann, hat die Schweiz ein schlagkräftiges Slalom-Duo für die Zukunft. Im Schatten dieser beiden könnte Charlotte Chable aufblühen, mit ihren 20 Jahren gehört sie zu den jüngsten Athletinnen im Weltcup-Zirkus.
Ebenfalls vereinzelt Punkte holen könnten Denise Feierabend und Rahel Kopp. Für beide hat jedoch oberste Priorität, sich in den Startlisten nach vorne zu arbeiten.
Die Schweiz hat viele Nachwuchsfahrer in den Startlöchern. Diese müssen nun aber einen grossen Schritt nach vorne machen, sonst droht dem alpinen Team von Swiss-Ski mehr als eine unrühmliche Saison. Die Schweiz müsste sich über Jahre damit abfinden, im Skifahren nur noch Mittelmass zu sein. Umso mehr würden wir sie dann vermissen, die Zeiten von Zurbriggen, Schneider und Co.
Atombömbeli