Ende Januar 2015, Slalom in Lienz: Wendy Holdener steht im Starthaus. Nach dem ersten Lauf liegt sie auf Platz zwei. Ihr Rückstand auf die führende Frida Hansdotter beträgt gerade einmal elf Hundertstelsekunden. Noch einmal volle Konzentration, dann stösst sich die 22-Jährige energisch in den Stangenwald. Holdener geht volles Risiko und stellt trotz Zeitverlust im Zielhang die klare neue Bestzeit auf.
Für den Sieg reicht es am Ende nicht ganz. Hansdotter fährt praktisch gleich schnell wie die Schweizerin und rettet sieben Hundertstel Vorsprung ins Ziel. Holdener erreicht damit ihren dritten Podestplatz. Den ersten Schweizer Sieg in einem Slalom seit 14 Jahren – 2002 siegte Marlies Oester in Berchtesgaden – verpasst sie nur ganz knapp.
Eine solch lange Durststrecke lässt die Schweizer Ski-Herzen bluten. Wehmütig erinnern wir uns an die glorreichen 80er- und 90er-Jahre. Damals entschied Erika Hess den Slalomweltcup fünfmal für sich und Vreni Schneider war sogar sechsmal erfolgreich. Dazu gesellten sich je zwei Weltmeistertitel sowie Schneiders olympische Goldmedaillen 1988 in Calgary und 1994 in Lillehammer.
Aber die laufende Saison weckt Hoffnungen, dass die Schweizerinnen demnächst an diese Erfolge anknüpfen könnten. Der zweite Platz in Lienz ist nicht Holdeners einziges Top-Resultat in diesem Winter. Abgesehen vom 20. Platz in Aspen klassiert sich die 22-Jährige immer unter den besten sieben Fahrerinnen. Die Schwyzerin, die 2010 mit zarten 17 Jahren ihr Weltcup-Debüt und 2013 in Ofterschwang ihren ersten Podestplatz feiern konnte, fährt so konstant wie nie zuvor. In der Disziplinenwertung liegt sie auf dem sensationellen vierten Rang.
Fast noch schöner als Holdeners Erfolge ist die Breite, die das Schweizer Slalomteam mittlerweile wieder aufweist. Sechs Fahrerinnen schafften es in dieser Saison bereits in die Punkte. Mit Michelle Gisin gelingt einer zweiten Fahrerin regelmässig der Sprung unter die besten 15. In Santa Caterina deutete zudem Charlotte Chable an, dass sie einst als Siegfahrerin in Frage kommen könnte. Sie lag nach dem ersten Lauf auf dem zweiten Platz, fiel aber aufgrund eines groben Fehlers im zweiten Durchgang weit zurück.
Sehr optimistisch stimmt auch das Alter der erfolgreichen Akteurinnen. Sowohl Wendy Holdener als auch Michelle Gisin sind erst 22 Jahre alt. Das Durchschnittsalter aller Schweizer Punktefahrerinnen liegt bei 22,3 Jahren. Für diese jungen Athletinnen ist es ein Segen, dass Lara Gut derzeit so erfolgreich unterwegs ist. So können sie sich abseits des ganz grossen Rummels entwickeln.
Dass eine der Slalom-Frauen einst so erfolgreich durch den Stangenwald kurvt wie Vreni Schneider (34 Weltcup-Siege im Slalom), ist nicht anzunehmen. Der erste Sieg dürfte allerdings nur noch eine Frage der Zeit sein. Die erste Chance dazu bietet sich bereits heute Abend in Flachau.