WM-Gold hängt noch um ihren Hals, da wird Lara Gut-Behrami in Cortina ein erstes Mal auf ihre Chancen im Gesamtweltcup angesprochen. Und sie reagiert, wie das viele Sportlerinnen und Sportler tun: mit Untertreibung. «Ich denke», sagt sie, «der Sieg im Gesamtweltcup ist ziemlich unmöglich.»
Übersetzt in die Realität wird aus dem «ziemlich unmöglich» ein «das könnte schon klappen». Das weiss auch Gut-Behrami. Nur sagen will sie das nicht. Die vermeintliche Bescheidenheit ist Kalkül.
42 Punkte liegt Gut-Behrami in der Gesamtwertung hinter Petra Vlhova. Noch elf Rennen stehen auf dem Programm. «Ich habe noch sieben und Petra vier mehr», sagt Gut-Behrami, «weil ich nicht Slalom fahre.»
Würden die Ski-Rennen mathematisch entschieden, hätte Gut-Behrami recht. Sie sagt: «Petra Vlhova kann nur verlieren. Ich hingegen kann mich nur auf das Skifahren konzentrieren.»
Vlhova hat in dieser Saison bisher alle 22 Weltcuprennen bestritten, Gut-Behrami 17. In den fünf Slaloms, die den Unterschied machen, hat Vlhova 400 ihrer total 989 Punkte geholt.
Statistisch ist die Sache klar: Behält die Slowakin ihren Punkteschnitt in den vier verbleibenden Slaloms, wird es für Gut-Behrami schwierig. Weil ihr nur noch zwei Rennen in ihrer Paradedisziplin Super-G bleiben. Im Super-G holte die Tessinerin in bisher fünf Rennen 445 Punkte.
Dass in dieser Saison sieben Super-G, aber neun Slaloms stattfinden, kritisierte Gut-Behrami im «Blick»: «Es gibt leider viel zu wenige Rennen im Vergleich zu anderen Disziplinen.»
Doch genug der Zahlenspiele. Es gibt gute Gründe, warum Gut-Behrami den Gesamtweltcup ein zweites Mal nach 2016 gewinnen könnte. Für sie spricht die Form. An der WM gewann sie im Super-G und im Riesenslalom Gold und in der Abfahrt wurde sie Dritte.
Vlhova hingegen, die schon vor der WM den Gewinn des Gesamtweltcup als primäres Ziel ausgab, konnte an den Titelkämpfen in Cortina nicht restlos überzeugen. Büsst sie nun für ihr Programm?
Während für Gut-Behrami die WM am Donnerstag endete, stand Vlhova bis am Sonntag im Einsatz. Gut-Behrami nutzte die Zeit, um paar Tage in ihrem Haus in Udine zu verbringen. Schon nach der ersten WM-Woche tat sie das und bezeichnete die Auszeit als einen wichtigen Faktor für den Erfolg im Riesenslalom.
Vlhova reiste nach der WM zwar auch in ihre Heimat. Allerdings um in Jasna zu trainieren. In der Slowakei sind am ersten März-Wochenende ein Riesenslalom und ein Slalom geplant. Nach den Trainings flog Vlhova zurück nach Italien, wo an diesem Wochenende im Val di Fassa drei Speed-Rennen stattfinden. Zeit zur Erholung bleibt ihr nur wenig. Auch dieser Punkt spricht für Gut-Behrami.
Hinzu kommt ein Faktor, den Gut-Behrami und Vlhova zwar nicht selbst beeinflussen können, der aber eher der Schweizerin hilft: die Konkurrenz. Während in den Speedrennen mit der derzeit verletzten Sofia Gogia eine der Hauptkonkurrentinnen von Gut-Behrami fehlt, hat Vlhova im Slalom die Vormachtstellung an Katharina Liensberger verloren. Die Österreicherin wurde Weltmeisterin und könnte so zur entscheidenden Punktediebin werden.
Und dann wäre da noch die Erfahrung. Vlhova will den Titel im Gesamtweltcup unbedingt. Gut-Behrami sagt: «Ich bin schon so sehr happy mit der Saison.»
Sie hat gelernt, dass es ein Leben neben der Piste gibt. Dadurch habe sie den Spass am Skifahren zurückgewonnen. Vlhova hingegen wirkt in diesen Tagen verbissen. Wohin zu grosser Druck führen kann, weiss Gut-Behrami aus Erfahrung. Auch darum gibt sie ihn weiter.
In dieser Saison ist natürlich eh alles komisch.. vor allem die Konzentration der Männerslaloms im Januar ist völlig grotesk.