«Wir reisen jetzt nächste Woche nach Russland und wissen, dass wir das Spiel drehen müssen.» Klar, von einem Fussball-Coach zu erwarten, dass er die bewegte Geschichte der weissrussischen Stadt Brest kennt – auch wenn dort 1918 gegen Ende des 1. Weltkriegs ein berühmter Friedensvertrag zwischen der Sowjetunion und den Mittelmächten geschlossen wurde –, wäre ein wenig gar viel verlangt.
Dass nächste Woche das Rückspiel der Europa-League-Qualifikation gegen Dinamo Minsk nicht in Russland sondern in Weissrussland stattfinden wird, hätte FCZ-Trainer Urs Meier aber eigentlich schon wissen können. Zwar nicht in Minsk, sondern eben auf dem Kunstrasen in der weissrussisch-polnischen Grenzstadt Brest.
Doch als Urs Meier gestern Abend nach dem Auftritt seiner Mannschaft vor die Kamera des Schweizer Fernsehens trat, hatte er andere Sachen als eine aktuelle politische Landkarte Europas im Kopf. Farblos, wie die Aussicht vom Schlafzimmer von Alexander Lukaschenko auf die Minsker Innenstadt an einem Novembermorgen, hatte sein FCZ gespielt. Nach dem 0:1 im Hinspiel gegen die Gäste aus Weissrussland droht der FC Zürich bereits Saisonziel Nummer 1 zu verpassen: Die Qualifikation für die Gruppenphase der Europa League.
Doch es ist nicht nur das gestrige Spiel, was den meisten der nur gerade 3587 Zuschauern im Letzigrund – so wenige wie seit 12 Jahren und einem Match gegen den FC Wil nicht mehr – Sorgen bereitet haben dürfte. Saisonkartenbesitzer der Zürcher Südkurve, welche seit dem 5. Oktober 2014 an jedem Heimspiel ihrer Mannschaft waren, durften seit diesem Tag gerade einmal einen einzigen Sieg bejubeln – ein 4:3 gegenüber Stadtrivale GC am letzten Spieltag der vergangenen Saison. In den weiteren 13 Heimspielen seit jenem 3:0-Sieg gegen Vaduz holten die Zürcher gerade mal vier Punkte. Auswärts sieht die Bilanz nur wenig besser aus.
In der Super League gibt es für eine derart uninspirierte Leistung immerhin hin und wieder Punkte. Wäre Urs Meier allerdings Student an der Uni Zürich, hätte er vergangenes Semester wohl kaum einen ECTS-Punkt verdient gehabt: Seit der Winterpause 2015 ist der Leistungsnachweis von Urs Meier schlicht ungenügend. Doch über Meier urteilt momentan kein Professor, sondern ein ihm äusserst wohlgesinnter Ancillo Canepa. Ein Ausflug an die Universität Zürich würde dem Duo Canepa-Meier indes nicht schaden. Dies zeigt nur schon ein Blick auf die Personalia Chikhaoui.
Yassine Chikhaoui wurde von den Hörern von Radio Jawhara FM zum besten tunesischen Spieler des letzten Jahrzehnts gewählt. #fcz #fczuerich
— FC Zürich (@fc_zuerich) 25. Juli 2015
Den Tunesier mit einer Quasi-Vollmacht im Zürcher Mittelfeld auszustatten und ihn als Captain zu nominieren, ist eine ähnlich sichere Anlagestrategie, wie sein ganzes Geld in die Exportindustrie von tunesischen Kamel-Hufeisen zu setzen. Öfter verletzt als das Herz eines Teenagers in der MTV-Sendung «My Super Sweet 16» und launisch wie ein Taxifahrer auf Djerba während dem Ramadan, wartet man im Letzigrund seit einer gefühlten Ewigkeit vergebens darauf, dass Chikhaoui endlich einmal die irrwitzig hoch gesteckten Erwartungen erfüllen wird.
Trotz grossem Trainingsrückstand kam Chikhaoui gestern gegen Minsk zu seinem Saisondebüt. Sofort ging er im lust- und ideenlosen Zürcher Kollektiv unter.
In acht Jahren beim FC Zürich hat der mittlerweile 28-Jährige gerade mal 116 Super-League-Spiele absolviert und 23 Tore erzielt. Berauschend ist das nicht, dennoch wird diese Saison beim FCZ wieder einmal alles auf den Tunesier gesetzt. Jeder drittsemestrige Ralph-Lauren-Naseweis am Institut für Banking und Finance an der Universität Zürich würde den Herren Canepa und Meier empfehlen: Portfolio diversifizieren!
Doch stattdessen wurden in der Sommerpause vielversprechende Assets wie Francisco Rodriguez, Nico Elvedi, Dimitri Oberlin und Djibril Sow aus dem Kader gestrichen. Avi Rikan ist mittlerweile ebenfalls weg und auch Franck Etoundi dürfte in den nächsten Tagen das Weite suchen.
Die Entourage von Yassine Chikhaoui sollen andere bilden. Doch deren Einsatz ist in den kommenden Spielen ebenfalls höchst fraglich. Die Leistungsträger Marco Schönbächler und Gilles Yapi plagen sich mit Langzeitverletzungen herum, Davide Chiumiento musste gestern verletzt ausgewechselt werden und Neuzuzug Cabral ist für die nächste Super-League-Partie gesperrt. «Mal sehen, wer am Sonntag noch alles da ist», analysiert Urs Meier die Personalsituation für das Stadtderby gegen GC. Zuversicht und Strategie sieht anders aus.
Im Gegensatz zum Rückspiel in der Europa-League-Qualifikation dürfte Urs Meier also keine Mühe haben, um den Austragungsort des nächsten FCZ-Pflichtspiels zu lokalisieren. Sollte der FCZ aber auch in dieser kapitalen Partie versagen, muss sich Ancillo Canepa für Urs Meier vielleicht dennoch einen alternativen Weg überlegen. Ein Sabbatical als Zuhörer an der Universität Zürich wäre für den überfordert wirkenden Fussball-Trainer doch sicherlich keine schlechte Idee. Die Vorlesung jeweils mittwochs von 10-12 Uhr zur Geschichte Ostmitteleuropas soll im Herbstsemester 2015 besonders interessant sein.
"Wir konnten nicht umsetzen was wir uns vorgenommen haben"
"Heute waren wir besser, leider stimmt das Resultat nicht"
"Die Jungs haben gekämpft, es wollte einfach nicht sein"
Also bitte, Herr Canepa, sehen Sie es ein und geben Sie sich einen Ruck.