Es fehlen einmal mehr die Superlative für Roger Federer: Fünf Wochen machte der Schweizer Pause – zumindest turniermässig. Denn Roger Federer hat offensichtlich nicht nur gut trainiert, er hat sich im zarten Alter von 34 Jahren auch selbst neu erfunden. Das ist dem Schweizer so gut gelungen, dass Novak Djokovic, der seit Jahren deutlich beste Tennisspieler der Welt, an der Siegerehrung etwas ratlos meinte: «Ich muss wohl warten, bis Roger zurückgetreten ist, um hier siegen zu können.»
Besonders beeindruckend waren Roger Federers Aufschlagspiele. Gegen Novak Djokovic, den wohl besten Return-Spieler der Welt, liess der «Maestro» keine einzige Breakchance zu. In total 49 Servicegames wurde Federer in Cincinnati kein einziges Mal gebreakt.
In Halle und dann bis ins Viertelfinale von Wimbledon in diesem Jahr schaffte es Roger Federer, 116 Aufschlagspiele in Folge zu gewinnen – jedoch mit einfacherem Programm als in Cincinnati, wo er zum ersten Mal in seiner Karriere überhaupt an einem Turnier nacheinander die Nummer 2 und 1 der Welt besiegte.
Beating the number 2 and 1 in back to back matches, best return players of the game, without facing a single break point! No words! #Federer
— Christoph Miescher (@ch_miescher) 23. August 2015
Der Rekord von Aufschlagspielen ohne Break hält noch Ivo Karlovic, er schaffte es 2009 auf 129 Servicegames. Diesen Rekord könnte Roger Federer an den US Open unter Umständen bereits im Viertelfinale knacken.
Roger Federer hat ein weiteres Mal die perfekte Terminplanung gefunden. Der Schweizer verzichtete auf das Turnier von Montreal, bereitete sich stattdessen mit hartem Training in der Schweiz auf die Hartplatzsaison vor. Federer trainierte phasenweise in vier Stunden andauernden Long-Sessions, um für allfällige Fünfsätzer an den US Open bereit zu sein.
Erst stand in Cincinnati aber eines von Roger Federers Lieblings-Turnieren an, welches dem Schweizer vor allem wegen der schnellen Unterlage perfekt liegt. So sagte auch Djokovic nach dem Match: «Ich denke, er kann hier aggressiver spielen als in anderen Turnieren, weil es ihm die Unterlage ermöglicht, das Spiel schnell zu machen. Er mag diese schnellen Bälle, das ist sein Rhythmus.»
Tatsächlich ist Cincinnati ein gutes Pflaster für Roger Federer. Nur in Halle war er mit acht Titeln bisher erfolgreicher. Total feierte Roger beim Turnier im Bundesstaat Ohio seinen 87. Titel auf der Tour, seinen 24. der ATP-1000-er-Serie.
Dass Roger Federer derart dominant auftritt, hat auch mit seiner neuen, aggressiveren Spielweise zu tun. «FedEx» stürmte gegen Djokovic in zwei Sätzen 29 Mal ans Netz und gewann dabei 21 Punkte, eine starke Erfolgsquote von über 72%.
Die angriffige Taktik von Roger ist im Zeitalter von Grundlinien-Spezialisten mutig, aber offensichtlich genau die richtige. Der Schweizer zeigte sich nicht bloss bei Netzangriffen couragiert, er schlug mit 32:19 auch sonst deutlich mehr Winner, während er nur einen unerzwungenen Fehler mehr auf dem Konto hat.
«Es war die richtige Taktik für ihn, ich wusste, dass er aggressiv auftreten würde, das war gar keine Frage. Ich versuchte damit klarzukommen, was bis zum Tiebreak des ersten Satzes klappte, danach war er einfach der bessere Spieler», so Djokovic nach der Partie.
Eindrücklich ist zudem die Tatsache, dass Roger Federer sogar mehr Backhand-Winner gesammelt hat als die serbische Weltnummer 1. Der Schweizer ist eigentlich für seinen starken Rückhand-Slice bekannt, die Winner kommen meist auf der Vorhand-Seite.
«Jetzt habe ich das Selbstvertrauen und die Spiele, zudem fühle ich mich nach dieser Woche noch ziemlich frisch, weil die Spiele ziemlich kurz waren», so Federer nach dem Turniersieg. «Ich denke, ich habe mich gut bewegt und bin jeweils explosiv nach vorne gestossen, die Volleys waren gut.»
Der starke Auftritt gegen Novak Djokovic bringt neben viel Selbstvertrauen und dem Turniersieg weitere positive Nebeneffekte mit sich. Der Schweizer liegt im Head-to-Head gegen «Nole» wieder mit 21 zu 20 Siegen in Front. Der Serbe hat in dieser Statistik noch nie geführt, das soll auch so bleiben.
Zudem ist Roger Federer wieder die Weltnummer 2, nachdem er diesen Platz für gerade mal eine Woche Andy Murray überlassen musste. Dem Schotten liess Roger Federer im Halbfinale von Cincinnati nicht den Hauch einer Chance.
Die Rangierung als Nummer 2 der Welt ist insofern wichtig, dass Roger Federer in den in der nächsten Woche beginnenden US Open erst im Finale auf Novak Djokovic treffen kann. Beim letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres heisst der Favorit so oder so Novak Djokovic. Roger Federer hat sich jedoch selbst neu erfunden und hat seinerseits einen Joker in der Hinterhand, wenn nicht sogar den «Djoker» in der Hand.
Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er den Djoker total dominiert hatte, war die zunehmende Ratlosigkeit, die man Nole vor allem ab Anfang des zweiten Satzes ansah. Und wenn DAS passiert, ja, dann hast du diesen Gegner definitiv im Griff...