2844 Tage, rechnet die NZZ vor, ist Oliver Zaugg schon Radprofi, als er erstmals ein Rennen gewinnt. 30-jährig ist er da schon und wie er selber zugibt, hat er manchmal selber nicht mehr daran geglaubt, tatsächlich einmal siegen zu können.
Aber an einem sonnigen Samstag im Herbst 2011 ist dieser Tag gekommen. Zaugg spürt, dass er in guter Form ist – wie so oft, wenn sich die Rennsaison ihrem Ende entgegen neigt. Die Spanien-Rundfahrt muss er zwar wegen einer Magenverstimmung aufgeben, doch an drei kleineren Eintagesrennen in Italien fährt er stark. So stark, dass ihn sein Team Leopard-Trek als Co-Leader in die Lombardei-Rundfahrt schickt.
Oliver Zaugg und Jacob Fuglsang sind die Trümpfe der Mannschaft. Der Däne verpufft seine Kräfte, als er bei einer frühen Attacke von Vincenzo Nibali mitgeht. Deshalb muss Zaugg in der Schlussphase auf niemanden Rücksicht nehmen, darf im «Rennen der fallenden Blätter» auf eigene Rechnung fahren. Eine Ausgangslage, die er kaum mehr kennt. Denn Zaugg ist kein Siegfahrer, sondern ein Helfer, der mit seinen bloss 57 Kilogramm besonders am Berg wertvolle Dienste für seine Captains leistet.
Weil er um seine gute Verfassung weiss, hat sich der im Tessin wohnhafte Zürcher Oberländer akribisch auf die 105. Lombardei-Rundfahrt vorbereitet. Nach der Besichtigung des Schlussteils der Strecke am Tag vor dem Rennen nimmt er sich vor, in der letzten Steigung anzugreifen, und zwar an der steilsten Passage.
Die Hoffnung erfüllt sich, dass an dieser Stelle, rund zehn Kilometer vor dem Ziel, noch keine Entscheidung gefallen ist. Zaugg nimmt den Aufstieg nach Villa Vergano in einer rund 20 Fahrer umfassenden Spitzengruppe mit fast allen Favoriten in Angriff. Und dort, wo er es sich vor dem Start vorgenommen hat, attackiert er. «Schon während der ganzen Woche hatte ich diesen Angriff im Kopf. Jetzt musste ich ihn nur noch ausführen», schildert er nach dem Sieg.
Auf der Passhöhe hat er 20 Sekunden Vorsprung auf seine Verfolger – aber keinen Funkkontakt mehr zum Teamfahrzeug. Die Batterien seines Empfängers haben den Geist aufgegeben. Zaugg fehlen Informationen über seinen Vorsprung: «Ich konnte nur Vollgas geben und hoffen, dass mich die anderen nicht einholen.»
Nach einer Abfahrt und den letzten, flachen Kilometern ist es geschafft. Acht Sekunden seines Vorsprungs rettet Zaugg ins Ziel. Endlich, nach 2844 Tagen als Radprofi, darf er auf der Ziellinie die Arme in die Höhe strecken und einen Sieg bejubeln. «Es war mein Tag. Endlich, nachdem ich schon ein paar Mal nahe dran war und es doch nie klappen wollte», freut sich damals der 30-Jährige.
Der Triumph bei einem der fünf Monumente des Radsports bleibt der einzige Profierfolg von Oliver Zaugg, der 2016 zurücktritt. Im Herbst 2014 kommt beinahe ein zweiter hinzu: In der 14. Etappe der Vuelta stürmt er in einem äusserst steilen Schlussaufstieg allen davon und sieht wie der sichere Solosieger aus, ehe ihn der Kanadier Ryder Hesjedal 200 Meter vor dem Zielstrich doch noch abfängt. Nicht immer geht ein Plan so auf wie jener Oliver Zauggs am 15. Oktober 2011.