Es wird Zeit, Abschied zu nehmen von den Zauberkickern, die uns jahrelang so gut unterhalten haben. Keine Kunststücke mehr von Ronaldinho, keine Rushes über das halbe Feld von Kakà, keine Übersteiger mehr von Robinho. Stattdessen setzt Scolari ausser Neymar in der Offensive mehr auf Lauffreude statt Kreativität.
Luiz Felipe Scolari ist der Mann, der die brasilianische Fussballnationalmannschaft zur Weltmeisterschaft führen soll. Im Jahre 2002 ist es dem inzwischen 66-Jährigen gelungen, die richtige Mischung im Kader zu finden. Nun hat Scolari gestern das 23-Mann-Kader bekanntgegeben. Beeindruckend ist vor allem, auf welche Spitzenspieler das fussballverrückte Land verzichten kann:
Im Tor steht Diego, der bei Fluminense sein Geld verdient. Im Oktober hat er beim 2:0-Testspielsieg gegen Sambia seinen Kasten rein gehalten, trotzdem hat es der 1,89 Meter grosse Keeper nicht ins Kader geschafft. Bei Bayern München hat sich Rafinha in dieser Saison einen Stammplatz auf der rechten Abwehrseite erkämpfen können. Scolari setzt an seiner Stelle aber trotzdem auf das altbewährte Duo Dani Alves und Maicon.
Der erst 19-jährige Marquinhos, in dieser Saison für gut 30 Millionen Schweizer Franken vom AS Rom zu PSG gestossen, ist trotz guter Leistungen nicht berücksichtigt worden. So auch die Spieler von Atlético Madrid, Innenverteidiger Miranda und Linksverteidiger Filipe. Auch der Finaleinzug in die Champions League und die bombenfeste Defensive der «Colchoneros» konnten Scolari nicht überzeugen.
Zugegebenermassen ein offensives Mittelfeldtrio mit Lucas, Ronaldinho und Kakà. Lucas hat PSG die läppische Ablösesumme von 50 Millionen Schweizer Franken gekostet. Der 21-Jährige kam von Sao Paulo. Auch in der heimischen Liga tätig ist Ronaldinho. Atlético Mineiro heisst sein aktueller Verein, nachdem der zweifache Weltfussballer (2004/2005) zuvor bei PSG, Barça und Milan unter Vertrag stand.
Für sein Land hat der 34-Jährige in 97 Spielen 33 Tore erzielt. Bei ihm war eine Absage erwartet worden, sein ausschweifender Lebensstil hat sich auch in der Heimat nicht verändert. Hingegen durfte sich Kaká, auch er ein ehemaliger Weltfussballer (2007), berechtigte Hoffnungen machen. Bei Milan fand der 32-Jährige zu alter Formstärke zurück und war einer der wenigen Lichtblicke der «Rossoneri».
Good morning,have a nice day everyone.
#together
— Fernandinho (@fernaoficial) 8. Mai 2014
Auch bei der AC Milan spielt Robinho. Der 30-Jährige hat in 92 Länderspielen 27 Mal das Tor getroffen. Doch das ehemalige Wunderkind und auserkorener Nachfolger von Pelé ist nicht mal bei seinem Verein Stammspieler.
Pato, der nächste Offensivspieler, auch er mit Vergangenheit bei Milan, ist inzwischen in der Heimat bei Sao Paulo gestrandet. Der hochtalentierte Flügel ist von Corinthias ausgeliehen, bei denen der 24-Jährige den Unmut der Fans auf sich zog. Der verletzungsanfällige Stürmer muss genau so auf die WM verzichten wie Leandro Damião, der bei den Olympischen Spielen 2012 Brasilien mit seinen sechs Toren zur Goldmedaille verhalf. Dummerweise verletzte der 24-Jährige sich kurz vor dem Konföderationen-Cup und konnte nichts zum Turniersieg beitragen.
Vergleichen wir die Marktwerte der beiden Teams, würden die Brasilianer das Rennen machen: Der Gesamtwert ihrer B-Auswahl beträgt 178 Millionen Schweizer Franken. Die bestmögliche Aufstellung der Eidgenossen hat einen Wert von knapp 160 Millionen Schweizer Franken. Doch wie würde es auf dem Platz aussehen, wenn man die Teams gegeneinander spielen liesse?
Im Tor hätten die Schweizer mit Benaglio sicher Vorteile. Auf den Aussenverteidigerpositionen schenken sich beide Teams nichts. Alle vier Spieler (Lichtsteiner, Rodriguez, Rafinha und Filipe) verkörpern internationale Spitzenklasse. In der Innenverteidigung sind jedoch Miranda und Marquinhos deutlich stärker einzuschätzen als das Schweizer Duo Schär/von Bergen. Der Punkt in der Defensive geht deshalb an Brasilien.
Gökhan Inler und Valon Behrami sind vielleicht nicht die spielerisch stärksten Mittelfeldspieler der Welt, in Sachen Kampf und Einsatz macht den beiden Napoli-Söldnern jedoch niemand etwas vor. Wenn man noch Xhaka dazu nimmt – damit auch hier drei Mittelfeldspieler verglichen werden können – hat das Schweizer Team die bessere Mischung im Mittelfeld. Kreativität und Aggressivität auf hohem Niveau. Die brasilianische Zauberfraktion mit Ronaldinho, Kaká und Lucas würde zwar ab und zu einen Gegenspieler vernaschen, doch die mangelnde Defensivarbeit und das fortgeschrittene Alter der beiden ehemaligen Weltfussballer spricht gegen die Brasilianer. Punkt für die Schweiz.
Neben Josip Drmic gehen für die Schweiz die offensiven Mittelfeldspieler Valentin Stocker und Xherdan Shaqiri auf Torjagd. Doch gegen die brasilianische Defensive würden sich die drei Eidgenossen trotz aller Klasse nicht durchsetzen können. Hingegen trauen wir der abgebrühten Fraktion aus Damião, Pato und Robinho durchaus zu, die Schweizer Innenverteidigung zu düpieren. Punkt für Brasilien.
Die B-Auswahl von Brasilien ist auf dem Papier sogar stärker als die Schweizer Nationalmannschaft einzuschätzen. Die Brasilianer hätten speziell in der Defensive ein Bollwerk zu bieten. Und die Offensive wäre immer noch für einen Exploit gut. Die Schweiz und die anderen 31 WM-Teilnehmer dürfen also froh sein, dass Scolari nur 23 Spieler in sein Kader berufen durfte.