Das Estadio Hernando Siles auf 3637 Metern über Meer ist eines der am höchsten gelegenen Stadien der Welt. 1931 wird es eingeweiht und zu Ehren des ehemaligen Präsidenten Boliviens, Hernando Siles Reyes, benannt.
Drei Vereine bestreiten ihre Heimspiele im Hernando Siles in der bolivianischen Stadt La Paz, es sind dies The Strongest, Club Bolivar und der FC La Paz. Was jedoch viel mehr interessiert, sind die Auftritte der Nationalmannschaft. «Los Verdes», «die Grünen», tragen den Namen Hernando Siles in die Welt heraus.
Und dann gibt es nochmals ein Ereignis, dass den Namen Hernando Siles auf Ewigkeiten unvergessen lässt. Heute vor 22 Jahren ist Brasilien im Rahmen der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1994 zu Gast. Noch nie überhaupt hat die Seleçao ein WM-Qualispiel verloren, folglich rechnet man auch nicht im Entferntesten damit, dass die Brasilianer den Heimweg ohne Punkte antreten könnten.
Es kommt jedoch anders. «Los Verdes» – angepeitscht von 42'611 Zuschauern – wehren sich wacker, bis kurz vor Schluss steht es 0:0. Dann schnappt sich der Marco Etcheverry, der Captain der Bolivianer, Höhe Mittellinie den Ball und zieht auf der linken Seite Richtung brasilianisches Tor.
Etcheverry rennt und rennt und rennt, lässt sich von mehreren Samba-Verteidigern nicht stoppen und schiesst das Leder mit gütiger Mithilfe von Goalie Claudio Taffarel ins Tor. Ohne den Ablenker des brasilianisches Schlussmannes wäre Etcheverrys Schuss nie zum Treffer geworden. Der Jubel bei den Grünen ist riesig, Brasilien geschockt.
Die Seleçao wirft nun alles nach vorne, um den Ausgleich zu erzielen, Bolivien bietet sich Raum für Konter. Nur wenige Momente nach dem Führungstreffer lanciert Etcheverry den eingewechselten Stürmer Álvaro Peña und dieser besiegelt die Niederlage der Brasilianer mit dem 2:0.
«Los Verdes» können sich auch dank diesem Sieg zum erst dritten Mal nach 1930 und 1950 für eine Weltmeisterschaft qualifizieren. Sie scheitern in den USA dann aber bereits in der Vorrunde. Auch Brasilien qualifiziert sich trotz der Niederlage im Estadion Hernando Siles ohne Probleme für die WM – und gewinnt im legendären Penaltyschiessen gegen Italien den vierten Titel.
Rund um das auf 3637 Metern über Meer gelegene Hernando Siles entstehen immer wieder Diskussionen. Kritiker monieren einen Heimvorteil, weil die bolivianischen Fussballer an die dünne Luft gewöhnt seien. Es kommt die Frage auf, ob sich Bolivien nur dank der Höhenlage seines Heimstadions für die Weltmeisterschaft in den USA qualifiziert hat.
1994 wendet sich der brasilianische Fussballverband an die FIFA. Im Dezember 1995 dann die Antwort des Weltfussballverbands: Internationale Partien sind ab einer Höhe von 3000 Metern über Meer ab sofort verboten, der Gesundheit der Spieler zuliebe. Weil das Estadio Hernando Siles die einzige Spielstätte ist, in der auf einer solchen Höhe regelmässig internationaler Fussball stattfindet, trifft die harte Regelung der FIFA eigentlich nur Bolivien.
Der Andenstaat schäumt vor Wut und will sich gegen das aus seiner Sicht ungerechte Urteil wehren. 2008 sagt ein Taxifahrer gegenüber der «WOZ»: «Brasilien empfing uns 1994 auch im tropisch-heissen Recife und schickte uns mit 6:0 nach Hause. Dagegen haben wir doch auch nicht protestiert.»
Die FIFA erhört den bolivianischen Fussballverband und erlaubt Spiele im Hernando Siles fortan wieder. Allerdings verbietet Sepp Blatter nach einem weiteren Protest 2007 erneut, dass auf über 2500 Metern über Meer Pflichtspiele stattfinden. Nun sind neben Bolivien auch Peru, Kolumbien und Ecuador betroffen, und wieder kommt die FIFA entgegen und lässt Partien auch auf einer Höhe von 3000 Metern zu. Das Estadio Hernando Siles wird zudem mit einer Ausnahmegenehmigung ausgestattet, diese gilt eigentlich nur bis 2010.
«WOZ»-Autor Knut Henkel schreibt im erwähnten Artikel 2008, dass das Stadion «dem Untergang geweiht ist». Fakt ist jedoch: Noch heute finden im legendären Hernando Siles Pflichtspiele statt. Die Freude der Brasilianer hält sich dabei wohl in Grenzen.