Drei Mal Rot in einem Spiel – wenn Sie jetzt denken, das sei das einzig erwähnenswerte Ereignis in der Karriere des Dean Windass, dann täuschen Sie sich. Und zwar gewaltig. Denn das absolute Highlight erlebt der Stürmer erst viel später, mit bereits 39 Jahren. Im Wembley-Stadion spielt er mit Hull City um den Aufstieg in die Premier League. Der «Windarsch» schiesst das einzige Tor der Partie – und was für eines!
Das Verrückte am Tor: Windass hatte es schon Monate vorher angekündigt. Im Januar lässt ihn Trainer Phil Brown in einem Spiel auf der Bank. Windass sagt ihm, er solle sich seine Worte hinter die Ohren schreiben: «Ich werde das Tor schiessen, das Hull in die Premier League bringt.»
Gesagt, getan. Als Windass den Treffer tatsächlich erzielt und die «Tigers» erstmals in ihrer über 100-jährigen Geschichte in die höchste Liga aufsteigen, wird er umgehend zur Legende in Kingston upon Hull.
Der Stürmer ist ein Kind der Arbeiterstadt in Englands Nordosten. Mit 22 Jahren wird er Profi bei Hull City – aber erst über Umwege. Denn zunächst wird dem bulligen Angreifer beschieden, nicht gut genug zu sein. Also füllt Windass in einer Dosenfabrik gefrorene Erbsen ab und kickt beim Amateurklub North Ferriby United.
Glücklicherweise ändern die Verantwortlichen 1991 ihre Meinung und geben dem Stürmer einen Vertrag. Denn nach 57 Toren in 176 Spielen rettet Windass seinen Verein ein erstes Mal. Für rund 1,5 Millionen Franken wechselt er 1995 nach Schottland zum FC Aberdeen. Dank der Transfereinnahmen kann Hull den Bankrott abwenden.
Auch an seinem neuen Arbeitsort hinterlässt Dean Windass Spuren – nicht nur mit Toren, sondern auch mit Eskapaden wie jener am 9. November 1997. Im Ligaspiel zwischen Aberdeen und dem FC Dundee sieht «Deano» noch vor der Pause drei Mal Rot – wohl ein Weltrekord.
Schiedsrichter Stuart Dougal verweist Windass nach einem Foul vom Platz. Er zeigt ihm auch noch Rot für die anschliessende Schiedsrichter-Beleidigung und Rot dafür, dass der Stürmer ein Cornerfähnli aus dem Boden reisst und es in den Spielertunnel wirft.
Verband und Klub reagieren. Windass wird für sechs Spiele gesperrt, der FC Aberdeen behält zwei Wochenlöhne ein. Manager Keith Burkinshaw sagt: «Die Spieler müssen lernen, ihre Disziplin nicht zu verlieren. Dean hat das auf schmerzvolle Weise erfahren müssen.»
Der Heisssporn gibt sich Mühe, sein Temperament in den Griff zu bekommen. Er besucht einen Therapeuten, weil er regelmässig die Fäuste sprechen lässt, wenn er mal wieder getrunken hat. Windass schämt sich auch nicht zuzugeben, dass er gelegentlich ein Bettnässer ist.
Es bleibt beim Versuch, ein anderer Mensch zu werden. Mal schlägt er seine Frau Helen, dann zerlegt er sein Hotelzimmer oder wird für fünf Spiele gesperrt, weil er dem Schiedsrichter auf dem Parkplatz die Meinung geigt. Als Windass 2003 für Sheffield United spielt und im entscheidenden Aufstiegsspiel nicht in der Startelf steht, macht er sich aus dem Staub und schaut sich die Partie in einem Pub an.
Dass er danach wieder mal den Arbeitgeber wechseln muss, erstaunt nicht. In Bradford erlebt der nimmermüde Stürmer eine Hausse. Obwohl er bei Stellenantritt schon 34-jährig ist, spielt und trifft er sehr regelmässig. 60 Tore in 142 Einsätzen kommen zusammen. «Ein Spieler, der das absolute Maximum aus seinen Fähigkeiten gemacht hat», fasst BBC-Experte Paul Fletcher treffend zusammen.
Der Rest ist Geschichte. 2007 kehrt Dean Windass zurück zu Hull City und sorgt ein zweites Mal dafür, dass es dem Klub richtig gut geht. Sein Tor zum Aufstieg spült insgesamt mehr als 100 Millionen Franken in die Klubkassen.
«Zwischen Superstars wie Didier Drogba oder Steven Gerrard wirkt der müde Krieger wie ein Relikt aus der Sauf- und Raufzeit des englischen Fussballs», schreibt Carsten Germann in seinem Buch «Absolute Dynamite» über den Stürmer. «Mit seinem blondierten Haarschopf könnte man Windass leicht mit Enfant terrible Paul Gascoigne verwechseln.» Dass er zudem am 1. April Geburtstag hat, ist das i-Tüpfelchen.
In der Premier League kommt Windass aber nur noch auf fünf Einsätze, in denen ihm ein Tor gelingt. Bei Darlington, den Barton Town Old Boys und Scarborough lässt er seine Karriere ausklingen, ehe er mit 43 Jahren einen Schlussstrich zieht.
Seither bietet sich Windass erfolglos als Trainer an und seine Versuche, sich als TV-Experte zu verdingen, erinnern höchstens an die Clown-Auftritt von Beat Breu. In Kingston upon Hull ist das egal. Dort ist Dean Windass auf Lebzeiten und darüber hinaus ein Held. Er schreibt hin und wieder Kolumnen in der lokalen Zeitung über seinen Verein, der im Sommer 2016 wieder in die Premier League aufstieg. In der «Hull Daily Mail» durfte er im Oktober seine All-Time-Top-11 des Klubs nennen. Natürlich stellte er sich als Stürmer auf.
Kürzlich wurde bekannt, dass Windass bankrott sei. 150'000 Pfund schuldet er angeblich dem Steueramt. Im Dezember findet eine zweite Anhörung statt. Windass gab selbst zu, dass er nach seinem Rücktritt dem Alkohol verfiel und an Depressionen litt.