Es ist zu warm im Berner Oberland, sechs Grad in der Nacht, und die Luftfeuchtigkeit ist zu hoch. Also wird die Super-Kombination am Freitag abgesagt und aus Skirennfahrer Bode Miller wird ein Eishockeyspieler. Der Amerikaner vergnügt sich am rennfreien Tag mit anderen Ski-Cracks auf Glatteis.
Der Form ist das nicht abträglich, wie sich tags darauf zeigt. Ganz im Gegenteil: Miller, der als einer der Favoriten zur Lauberhorn-Abfahrt antritt, feiert den 25. seiner total 33 Weltcupsiege. Es ist ein ganz spezieller.
Von oben bis unten zeigt Bode Miller auf den rund 4500 Metern vom Start bis ins Ziel eine bärenstarke Leistung. Bei der letzten Zwischenzeit hat er fast eine Sekunde Vorsprung auf den bis dahin Schnellsten, den unmittelbar vor ihm gestarteten Italiener Peter Fill.
Dann die Schrecksekunde: Miller hebt auf der letzten Kuppe ab, er segelt viel zu lange durch die Luft und landet nicht auf den Ski im Schnee, sondern stürzt in Richtung Ziel. Sollte er sich tatsächlich eine nahezu perfekte Fahrt auf den letzten Metern versaut haben?
Nein! Der stürzende Miller stellt dennoch die klare Bestzeit auf und ist sagenhafte 1,47 Sekunden schneller als Fill. Im Teilabschnitt von der letzten Zwischenzeit bis ins Ziel ist Miller sogar schneller als alle anderen – der Sturz hat ihn nicht gebremst.
Entschieden ist die Abfahrt aber noch nicht. Unmittelbar nach dem Amerikaner nimmt Didier Cuche Anlauf, um seinen sechsten Weltcupsieg zu feiern. Doch er schafft es nicht – wie er es auch bis zum Ende seiner Karriere nie schaffen wird, den Abfahrts-Klassiker am Lauberhorn zu gewinnen. 65 Hundertstel fehlen Cuche auf Miller, schon zum vierten Mal in diesem Winter wird er damit Zweiter.
Millers Puls schnellt wenig später noch einmal in die Höhe, als Marco Büchel unterwegs ist. Der Liechtensteiner stellt bei den ersten beiden Zwischenzeiten die Topzeit auf. Doch vom Hundschopf bis ins Ziel verliert Büchel noch mehr als eineinhalb Sekunden. Als Fünfter verpasst er das Podest knapp.
Miller erstaunt danach auch in den Interviews. Dort verkündet er, dass der Sturz gewissermassen einkalkuliert gewesen sei:
Er habe das Rennen deshalb mit dem Kopf gewonnen und weil er «Tonnen von Risiken» eingegangen sei:
Die Gegner schütteln ob solcher Aussagen nur den Kopf. Er hätte im Ziel-S sein Leben riskieren müssen, um Miller noch abzufangen, sagt Cuche: «Bode ist definitiv verrückter! Ich wünsche ihm, dass er bis zum Saisonende gesund bleibt.»
Bode Miller zählt zu den erfolgreichsten Skirennfahrern aller Zeiten. Er ist einer von nur fünf Fahrern, die in allen Disziplinen mindestens einen Weltcupsieg feierten – und im Gegensatz zu Pirmin Zurbriggen, Marc Girardelli, Kjetil André Aamodt und Günther Mader der einzige, der in jeder Disziplin mindestens fünf Mal siegte. Das glückte (bis jetzt) auch keiner der sieben Damen, welche in jeder Disziplin zumindest einmal gewinnen konnten.
Zwei Mal (2005 und 2008) gewinnt Bode Miller den Gesamtweltcup, er wird vier Mal Weltmeister, 2010 Olympiasieger in der Super-Kombination und er holt sechs weitere Medaillen an Grossanlässen. Den letzten Weltcupsieg erringt er im Dezember 2011.
Seinen endgültigen Abschied von der grossen Skibühne verkündet er im Oktober 2017, obwohl er Anfang Jahr noch einmal von einer Rückkehr sprach. Mit 40 Jahren fehlt ihm dann doch die Motivation. Seine letzten Worte als Skifahrer: