Fast zwei Jahre nach dem Terroranschlag auf den Marathon in Boston mit drei Toten und 260 Verletzten hat in der US-Ostküsten-Metropole der Prozess gegen den mutmasslichen Attentäter Dschochar Zarnajew begonnen. Der Prozess könnte drei bis vier Monate dauern.
Zarnajew erschien in dunkler Jacke und weissem T-Shirt im Gerichtssaal und wirkte etwas nervös. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 21-Jährigen vor, am 15. April 2013 mit seinem Bruder Tamerlan auf der Zielgeraden des Traditionslaufs zwei Bomben gezündet zu haben.
Zarnajew muss sich zudem wegen Mordes an einem Polizisten während der Flucht einige Tage nach der Tat verantworten. Bei dieser war sein 26 Jahre alter Bruder erschossen worden. Die beiden Männer mit tschetschenischen Wurzeln sollen radikalen Islamisten nahe gestanden haben.
Nach einer mühsamen, zweimonatigen Jury-Auswahl nahm Richter George O'Toole den Geschworenen am Mittwoch zunächst den Eid ab. Kurz darauf begannen Staatsanwaltschaft und Verteidigung mit ihren Eröffnungsplädoyers.
Der Staatsanwaltschaft zufolge hegte Zarnajew Mordgelüste. Er habe sich beim Traditionslauf als Zuschauer ausgegeben, doch «er hatte Mord in seinem Herzen», sagte William Weinreb. «Er legte eine Bombe direkt neben eine Reihe von Kindern», so der Staatsanwalt am Mittwoch. «Einige verbluteten auf dem Trottoir, während der Angeklagte davonlief.»
Weinreb zeichnete das Bild eines radikalisierten jungen Mannes mit extremistischen muslimischen Idealen. Zarnajew habe gedacht, mit dem Anschlag «seinen Platz im Paradies zu verdienen», indem er US-Amerikaner töte und die Regierung so davon abhalte, Terroristen im Ausland ins Visier zu nehmen.
Während Opfer des Attentats im Spital darauf gewartet hätten, zu erfahren, ob ihre Gliedmassen amputiert werden müssten, habe sich Zarnajew benommen, «als habe er nicht eine Sorge auf der Welt», sagte Weinreb.
Ganz anders stellte die Verteidigung das Verhalten ihres Mandanten dar. Zarnajew sei bei dem Terroranschlag der Führung seines älteren Bruders Tamerla gefolgt.
«Tamerlan wurde besessen vom gewalttätigen radikalen Islam», sagte Verteidigerin Judy Clarke in ihrem Eröffnungsplädoyer. «Es war Tamerlan Zarnajew, der sich selbst radikalisierte, es war Dschochar, der ihm folgte.»
Clarke bezeichnete das Attentat als «sinnlose, schreckliche, fehlgeleitete Tat zweier Brüder», das «drei Menschenleben ausgelöscht» habe und das Leben anderer für immer verändert habe. «Doch (Dschochar Zarnajew) kam auf einem sehr anderen Weg zu seiner Rolle als von der Staatsanwaltschaft angedeutet.» Diesen Weg habe sein älterer Bruder geebnet.
Zarnajew plädiert auf nicht schuldig. Er ist in 30 Punkten angeklagt, 17 davon wiegen so schwer, das sie ihm die Todesstrafe einbringen könnten.
Der Bundesstaat Massachusetts mit Boston als Hauptstadt hat die Todesstrafe in den frühen 1980er Jahren abgeschafft; die letzte Hinrichtung fand 1947 statt. Zarnajew muss sich allerdings in einem Bundesverfahren verantworten, und das Bundesrecht erlaubt in den USA generell die Todesstrafe. (aeg/sda/dpa)