Nevin Galmarini hat in Sotschi alle überrascht. Sensationell hat er die Silbermedaille gewonnen. Sie überlegen noch in welcher Sportart? Eben erst jubelte die Schweiz mit dem Snowboarder, schon ist Galmarini vergessen – sofern er nicht mit weiteren Erfolgen nachlegen kann.
2002 gewinnt Fabienne Reuteler in Salt Lake City die Bronzemedaille in der Halfpipe. Für die Schwyzerin der Höhepunkt der Karriere und für die Schweiz damals die zweite Medaille der Spiele. Reutelers Pech: Die erste holt am gleichen Tag der sensationelle Simon Ammann. Und weil dessen Medaille aus Gold ist und der Toggenburger Skispringer die Herzen der Schweizer im Sturm erobert, verblasst die Bronze-Auszeichnung der 22-jährigen Wirtschaftsstudentin.
Die Fälle von Galmarini und Reuteler sind nur zwei in einer ganzen Reihe von Beispielen aus den letzten 30 Jahren. Es wird kurz mitgejubelt mit erfolgreichen Sportlern, die eine Silber- oder Bronzemedaille gewonnen haben. Aber wer nicht nachlegen kann (oder in den Wintern zuvor schon vorgelegt hat), gerät rasch in Vergessenheit. Es gibt sogar Olympiasieger, die statt ewigem Ruhm ein Leben in der Quasi-Anonymität leben.
Alle vier Jahre werden neue Helden geboren, alte vergessen. Nur wenige schaffen es, eine Legende zu werden. «Helde lebed lang, doch Legende sterbet nie», weiss selbst Rapper Bligg.
Wir haben einige zufällig ausgewählte Redaktoren gebeten, Fragen zu den folgenden Bildern zu beantworten. Die Redaktoren sind weder überaus interessiert am Sport noch komplett desinteressiert. Es sind Frauen und Männer dabei, jüngere und ältere Redaktoren, Praktikanten und Festangestellte. Kurz: eine fast repräsentative Blitzumfrage. Raten Sie mit!
Sie ist verheiratet mit einem Norweger, lebt in Norwegen, übte eine Sportart ganz am Rand der Randsportarten aus. Weil sie schüchtern wirkte, vergass die Öffentlichkeit Maya Pedersen so schnell, wie sie gekommen war.
Full-Full-Full. Sportfans wissen bei der Nennung ihres Siegersprungs zwar sofort, welche Sportart gemeint ist. Aber dass die Athletin, die ihn für die Goldmedaille auspackte, Evelyne Leu war; diese Information ist in den Hirnzellen ganz weit nach hinten gewandert.
Es gibt coole Snowboarder, die in der Halfpipe leben. Sensationelle Olympiasiegerinnen im spektakulären Boardercross, die wie Tanja Frieden dazu glamourös aussehen und die Nation mit ihrem Charme einnehmen. Und dann gibt es die Alpin-Snowboarder, die oft genau mit diesem Satz bezeichnet werden: «Die gibt es auch noch.»
Vreni Schneider, Maria Walliser, Michela Figini – in der erfolgreichsten Phase der Schweizer Skigeschichte war irgendwann kein Platz mehr an der Sonne. Brigitte Oertli war eine typische Kombinierin: eine gute Allrounderin, aber in Einzeldisziplinen zu inkonstant.
Ein ewiger Zweiter: Kälin besitzt drei Silbermedaillen von Grossanlässen, eine olympische und zwei von Weltmeisterschaften. Im Weltcup gewann der Riesenslalom-Spezialist drei Rennen, sechs Mal wurde er Zweiter. Er lebte im Schatten von Seriensieger Mike von Grünigen.
Wäre sie Abfahrts-Olympiasiegerin, Martina Schild wäre noch in Jahrzehnten ein Begriff. Ihre Silbermedaille war sensationell errungen und der grösste Erfolg ihrer Karriere, aber letzten Endes eben auch «nur» Silber. 2013 trat die Berner Oberländerin zurück, ihr gelang ein einziger Weltcupsieg.
Bobfahrer haben einen Helm an, sind durchs Band Muskelpakete und verstecken sich in einem Bob – man sieht sie selbst dann nicht oft, wenn man die TV-Übertragungen anschaut. Reto Götschi und Guido Acklin gewannen 1994 Silber im Zweierbob, die gleiche Farbe erhielten Marcel Rohner und seine Bremser Markus Nüssli, Markus Wasser und Beat Seitz vier Jahre später im Viererbob. 2002 im Zweierbob freuten sich Christian Reich und Steve Anderhub über Silber.
Siehe oben. Die Bronzemedaillengewinner: 1984 im Viererbob Silvio Giobellina, Heinz Stettler, Urs Salzmann und Rico Freimuth. Martin Annen (2002) ist ein noch halbwegs geläufiger Name, sein damaliger Bremser und heutiger Pilot Beat Hefti hat in Sotschi Silber im Zweierbob gewonnen.
Die erste Schweizer Langlaufmedaille seit fast 20 Jahren und dann erst noch im ruhmreichen Rennen über 50 Kilometer, der Königsdisziplin. Geschlagen nur von den Legenden Gunde Svan und Maurilio de Zolt. Einen deutschen Wikipedia-Eintrag über Andi Grünenfelder gibt es nicht, dafür ist er heute ein renommierter Sportarzt.
Sie gewann 1992 in Albertville, als das Springen noch Demonstrationswettkampf war. Sechs Jahre später, als es «echte» Olympiamedaillen gab, sprang Brand zu Bronze – in einem Sport, der nicht einmal im Telegramm-Teil der Zeitungen publiziert wird, sofern nicht Olympische Spiele sind.
Ihre Medaille war eine der grössten Überraschungen der Schweizer Sportgeschichte. Unmittelbar vor dem Start werden die starken Russinnen und Ukrainerinnen wegen positiver Dopingtests ausgeschlossen. Andrea Huber, Laurence Rochat, Brigitte Albrecht-Loretan und Natascia Leonardi Cortesi nützten die Situation aus, sie hatten perfektes Material an den Füssen, liefen das Rennen ihres Lebens und holten hinter Deutschland und Norwegen die Bronzemedaille.
Siehe Maya Pedersen oben: eine Sportart, die am Rand der Randsportarten figuriert und nur alle vier Jahre bei Olympia ganz kurz in den Fokus rückt.
In den Schweizer Bergen ist das Snowboard längst salonfähig, aber nur als Breitensport. Wer nicht Gold gewinnt wie Gian Simmen oder Tanja Frieden wird früher oder später vergessen. Hinzu kam, dass Fabienne Reuteler ihre Medaille an dem Tag gewann, an dem Simon Ammann zum ersten Mal Olympiasieger wurde. So hatte sie gar nie die Chance, richtig bekannt zu werden.
Während Jahren war der «gmögige» Davoser immer auch noch dabei. Meistens belächelt von der Öffentlichkeit, die sich nicht vorstellen konnte, wie ausgerechnet jemand, der so langsam spricht, ein schneller Skifahrer sein kann. Sechs Mal auf dem Weltcup-Podest, nie als Sieger.
Nebst dem Randsport-Syndrom kommt in diesem Fall auch noch der Röstigraben hinzu: Olivia Nobs kommt aus La Chaux-de-Fonds. Um als Welscher in der ganzen Schweiz bekannt zu sein, benötigt es mehr als eine Bronzemedaille im Boardercross.
Während den Olympischen Spielen können wir stundenlang Curling schauen und darüber schmunzeln, dass Kommentator Beni Thurnheer auch nach Jahren immer noch so wenig zu verstehen scheint, wie wir. Kaum ist das olympische Feuer erloschen, machen wir im Kopf wieder Platz frei für Fussball.
Dario Cologna wird man noch sehr lange kennen, schliesslich ist er schon jetzt der erfolgreichste Schweizer Langläufer aller Zeiten und seine Karriere dauert noch an.
Dominique Gisin ist Abfahrts-Olympiasiegerin. Komme, was wolle – sie bleibt (auch dank ihres strahlenden Wesens) ein Star.
Lara Gut gewann zwar «nur» Bronze. Weil sie aber vorgelegt und schon viele andere Rennen gewonnen hat, ändert das verpasste Gold nichts an ihrem Status als bekannte Schweizer Topsportlerin.
Sandro Viletta raste völlig überraschend zur Goldmedaille in der Super-Kombination. Gelingt es ihm nicht, seinen Triumph mit guten Leistungen im Weltcup zu bestätigen, wird er maximal als Sensations-Olympiasieger in die Erinnerung eingehen.
Selina Gasparin hat die erste Biathlonmedaille der Schweiz an einem Grossanlass gewonnen. In ihrem Fall wird entscheidend sein, wie sich die Sportart hierzulande generell weiterentwickelt. Kann sich die Schweiz im Biathlon etablieren, wird Gasparin als Wegbereiterin stets bekannt bleiben. Sinkt die Sportart in der Gunst des Publikums wieder, wird sie vergessen.
Beat Hefti und Alex Baumann werden das Bobfahrer-Syndrom erleben: Nach einigen Jahren kommen die nächsten, die einen Helm tragen und sich in einem Bob den Eiskanal hinunterstürzen. Man wird sie nicht mehr kennen.
Patrizia Kummers Sport (Snowboard-Alpin) ist unsexy, die Walliserin wirkt schüchtern. Vielleicht kann sie noch einmal Gold gewinnen. Dann bleibt ihr Name länger haften.
Iouri Podladtchikov gelangt sein nicht alltäglicher Name zum Vorteil. Man kann ihn sich merken, denn er ist dieser (je nach Sichtweise etwas oder ziemlich) durchgeknallte Typ in der Halfpipe. Zudem bei den Jungen ein Held.
Nevin Galmarini wird sein nicht alltäglicher Name zum Nachteil. Zu kompliziert, zu langweiliger Sport, sonst noch nie Erfolg gehabt.