Der 12. April 2019 war ein Freudentag für Peter Spuhler, den Verwaltungsratspräsidenten und Patron von Stadler Rail. Seine Firma ging an die Schweizer Börse . Eine finanziell höchst profitable Angelegenheit: Mit seinem Aktienpaket verdiente Spuhler gemäss Berechnungen am ersten Börsentag 1.5 Milliarden Franken.
Der Börsengang machte auch 170 Mitglieder des Kaders, der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats reicher. Der Wert ihrer Aktienpakete, die sie vor dem Börsengang im Rahmen eines «Mitarbeiteraktienplans» als Teil ihres Salärs zu wesentlich tieferen Preisen erhalten hatten, explodierte mit dem Börsengang regelrecht. Sie verdienten laut CH Media insgesamt 292 Millionen Franken – im Durchschnitt also 1.7 Millionen Franken pro Kopf.
Nicht vom fulminanten Börsengang profitiert haben zunächst die normalen Mitarbeitenden von Stadler Rail. Für sie hatte es kein Aktienbeteiligungsprogramm gegeben. Dass sie vom Millionensegen für das Kader aus der Zeitung erfahren mussten, sorgte laut Recherchen von watson für Unmut. Aus der Personalkomission wird heftige Kritik laut.
Nino Stuber ist «Teamleiter Zahnradersatzteile und -revisionen» bei Stadler und seit 2003 im Betrieb. Der 42-Jährige ist Präsident der Personalkommission am grössten Schweizer Standort in Bussnang TG.
«Bei Stadler herrscht eine grosse Diskrepanz zwischen der Mentalität eines guten Arbeitgebers, der Stadler zweifellos ist, und der Art und Weise der Kommunikation und des Verhaltens rund um den Börsengang», sagt Stuber.
Die von den Dimensionen her längst zum Grosskonzern gewachsene Stadler Rail sei «im Herzen ein KMU geblieben, wo auch mal hemdsärmlig entschieden wird». Das sei im Wettbewerb gegen die Konkurrenz wegen der grossen Flexibilität ein Vorteil.
Bei der Kommunikation nach Innen sowie nach Aussen hingegen reichten KMU-Standards nicht mehr. «Hier hat man beim Börsengang die Unerfahrenheit der Firma gespürt».
Die Personalkommissionen der verschiedenen Stadler-Standorte wollten wegen der Unzufriedenheit in der Belegschaft deshalb im April das Gespräch mit der Geschäftsleitung suchen.
Gemäss Stubers Darstellung kam diese dem Schritt zuvor: Am 25. und 26. April traten Verwaltungsratspräsident Spuhler und CEO Thomas Ahlburg an den Standorten Bussnang, Altenrhein und Winterthur vor die Belegschaft.
«Herr Spuhler hat sich bei den Mitarbeitenden dafür entschuldigt, dass sie aus den Medien vom Geldsegen für Kadermitglieder und Verwaltungsräte erfahren mussten», so Stuber.
Doch der Patron habe dafür nicht die mangelnde Kommunikation des Unternehmens, sondern die Medien verantwortlich gemacht. Das sei für die Personalkommissionen enttäuschend.
Spuhler möge man den wirtschaftlichen Erfolg gönnen, aber in der Kommunikation habe auch er «einen Scherbenhaufen angerichtet.*» Hier müsse sich die Führung eindeutig verbessern. «Jetzt wo wir ein börsenkotiertes Unternehmen mit Offenlegungspflichten sind, umso mehr.»
Ganz anders stellt Stadler-Kommunikationschefin Marina Winder die Situation dar. Aufgrund der Vorschriften des Börsenrechts sei eine vorgängige Information an einzelne Gruppen, auch an die Mitarbeitenden, nicht möglich gewesen.
Das Aktienbeteiligungsprogramm für Kadermitglieder sei bereits vor 13 Jahren eingeführt worden, betont Geschäftsleitungsmitglied Winder, deren Aktienpaket laut Blick 1.7 Millionen Franken wert ist. Die Aktien seien die ganze Zeit über für den Verkauf oder die Verpfändung gesperrt gewesen, mussten aber besteuert werden.
Das Programm habe ursprünglich auf alle Mitarbeitenden ausgedehnt werden sollen. Diese hätten aber einen Cash-Bonus bevorzugt, den Stadler ihnen seither jährlich zusätzlich zum Weihnachtsgeld und dem 13. Monatslohn auszahle.
Grundsätzlich ist die Geschäftsleitung der Ansicht, dass der Informationsfluss sehr gut ist: «Selbstverständlich prüfen wir laufend Verbesserungen und sind offen für Feedback.» Nach seinem Auftritt vor den Mitarbeitenden habe Spuhler aber «mehrere hundert sehr positive Reaktionen aus der Belegschaft bekommen».
Zwei verschiedene Darstellungen gibt es auch, was die Sonderzahlung an die Mitarbeitenden angeht, die Spuhler bei seinen Auftritten Ende April angekündigt hatte. Unbestritten ist deren Umfang: Mit dem Juni-Lohn erhielten die Stadler-Angestellten je nach Dienstalter zusätzlich einen Betrag von einem halben bis zu einem ganzen Monatslohn ausbezahlt.
Gemäss Sprecherin Marina Winder hatte Spuhler diese «persönliche Geste von Anfang an vorgesehen». Vom ursprünglichen Plan, den Mitarbeitenden anlässlich des Börsengangs Aktien zuzuteilen, sei man abgerückt: «Es hat sich gezeigt, dass mit dieser Lösung unsere ausländischen Mitarbeitenden stark benachteiligt gewesen wären.»
Für Personalvertreter Nino Stuber hingegen ist die Sonderzahlung «natürlich eine Reaktion auf den Unmut der Belegschaft nach dem Börsengang». Über das Gesamtvolumen der «persönlichen Geste» von 25 Millionen sagt Stuber: «Das ist natürlich grosszügig, ohne Frage». Aber gleichzeitig gelte es, die Relationen zu wahren.
Vergleiche man Spuhlers Profit von 1.5 Milliarden aus dem Börsengang mit einem Durchschnittslohn, entsprechen 25 Millionen etwa 100 Franken: «Es ist also in etwa, wie wenn man einmal weniger mit der Frau essen geht und dieses Geld stattdessen weitergibt.»
Viele Mitarbeitende sind länger im Betrieb als manches Kadermitglied. Während für erstere bisher maximal ein zusätzlicher Monatslohn geflossen ist, profitieren bei letzteren auch Stadler-Neulinge.
So war beispielsweise das Aktienpaket von Finanzchef Raphael Widmer, erst seit Anfang 2017 im Unternehmen, laut CH Media Mitte April 4.2 Millionen Franken wert. «Die Mitarbeitenden* haben sich extrem daran gestört, dass sie keine Möglichkeit hatten, Aktien zu beziehen», sagt Personalvertreter Stuber, ohne sich auf den Einzelfall Widmer zu beziehen.
Doch es gibt Hoffnung für die Mitarbeitenden. Bei seinem Auftritt vor der Belegschaft der Schweizer Stadler-Standorte kündigte Spuhler Ende April einen neuen Mitarbeiterbeteiligungsplan an. Stadler-Sprecherin Marina Winder bestätigt dies auf Anfrage von watson: «Es wird geprüft, dass Mitarbeitende gegen eine Sperrfrist vergünstigt Aktien kaufen können».
Weil dieses Programm weltweit allen Stadler-Mitarbeitenden offenstehen soll, müssten die rechtlichen Anforderungen in den verschiedenen Ländern geprüft werden. Zum Zeitplan macht Winder keine Angaben. Auch die Personalkommissionen haben laut Nino Stuber bisher noch nichts Weiteres zur Sache gehört. Was für ihn jedoch klar ist: «Egal, in welcher Form den Mitarbeitenden Aktienkäufe ermöglicht werden: Unsere Gewinnmarge wird deutlich kleiner sein als die von Kader und Verwaltungsrat».
Wobei ich auch sagen muss, dass es für mich sehr grosszügig klingt, dass Stadler einen 13. Monatslohn, Weihnachtsgeld und eine Erfolgsbeteiligung auszahlen.
Es gibt Firmen, da gibt es gar nichts davon.