Fitness-Armbänder haben in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Sie zählen die Anzahl Schritte, die Distanz beim Joggen oder die verbrannten Kalorien. Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé hat für diese so genannten «Wearables» eine neue Kundschaft ausgemacht: Kinder.
In Australien hat der Hersteller von Thomy-Mayonnaise, Nespresso-Kaffee und Kitkat-Schokolade kürzlich ein Fitnessband für Kinder namens «Milo Champ Band» lanciert. Weitere Märkte in Südamerika und Südostasien sollen bald folgen. Einem kleinen Kreis von Journalisten stellte Nestlé-Geschäftsleitungsmitglied Stefan Palzer die Innovation kürzlich am Hauptsitz in Vevey vor. Auch CH Media war dabei.
«Mit diesem Gerät können Mütter die Bewegung ihrer Kinder kontrollieren und schauen, ob das Kind aktiver sein sollte», sagt Palzer, der bei Nestlé für die technologische Entwicklung zuständig ist.
Das Konzept funktioniert so: Eltern kaufen das Fitnessband für umgerechnet knapp 30 Franken und downloaden die entsprechende App. Dort geben sie den Spitznamen ihres sechs- bis zwölfjährigen Kindes ein, dessen Geburtsdatum und Geschlecht.
Nestlé verspricht auf der Website, dass das Kind mit dem Armband nicht lokalisiert werden kann. Das elektronische Armband zählt die Schritte der Kinder und sogar ihren Herzschlag. Nestlé argumentiert, das Produkt diene der Förderung eines gesunden Lebensstils der Kinder.
Um die jungen Kunden zu mehr Bewegung und Sport anzuregen, erhalten sie je nach Bewegungshäufigkeit elektronische Abzeichen. Sie können einen elektronischen Avatar kreieren, erhalten Tipps von einem virtuellen Trainer und können mit anderen Kindern wetteifern, wer sportlicher ist.
Doch wie glaubwürdig ist der Absender? Milo ist eine grosse Nestlé-Marke in Ozeanien, Südamerika, Südostasien und in Teilen Afrikas für Schokoladen- und Malz-Getränke, Frühstücksflocken und Snackriegel. Das Unterwegs-Getränk «Milo 2 Go» à 200 Milliliter, das einen sportlichen Jungen auf der Verpackung zeigt, weist pro 100 Milliliter 8.4 Gramm Zucker auf.
Adrienne Suvada, Dozentin für Marketing-Management an der Zürcher Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften, ist angesichts Nestlés Strategie nicht überrascht: «Viele Hersteller von Cerealien und Schokogetränken positionieren ihre Produkte als Nahrungsmittel für sportliche Kinder. Insofern ergibt Nestlés Armband Sinn, auch wenn die stark zuckerhaltigen Produkte natürlich nie so gesund sind wie ein Apfel.»
Dennoch übt Suvada Kritik: «Wenn Grosskonzerne wie Nestlé mit sehr sensiblen Daten wie dem Herzschlag von Kindern operieren, wird es sehr heikel.» Vielen Eltern dürfte dies nicht gefallen. Zudem sei es auch ein Image-Risiko für Nestlé, sollte es zu einem Datenmissbrauch kommen.
Ein Nestlé-Sprecher sagt, dass die Datensicherheit «höchste Priorität» habe. Die Daten blieben auf der App verschlüsselt. «Sobald sie gelöscht wird, werden die Daten auch gelöscht.» Die Auswertung der gespeicherten Daten diene nur der Verbesserung der App und würde nicht an Dritte weitergegeben. «Unser Cyber-Sicherheitsteam verwendet die modernsten Verschlüsselungsstandards.»
Gesundheitspsychologin Liliana Vas von der Fernfachhochschule Schweiz meldet Bedenken an: «Unsere Gesellschaft trimmt unsere Kinder dazu, schlank und rank zu sein.» Viele Kinder, die übergewichtig seien, würden ausgegrenzt. «Ein solches Fitnessband hilft nicht, insofern finde ich es sehr heikel.» Bewegung sei gut, aber das Ganze solle ein Spiel bleiben und Spass machen.
Für sportliche Kinder ab 10 Jahren möge ein solches Band sinnvoll sein, sagt Vas. «Aber sicher nicht für 6-Jährige. Sie sollten nicht in einem ständigen Wettkampf mit anderen Kindern sein und sich über ihre Schrittzahlen sorgen, das führt bloss zu Stress.» Die Psychologin nimmt die Eltern in die Pflicht. Sie würden in der Regel gut abschätzen können, ob ihr Kind sich genügend bewege.
Ausserdem sei es für das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kind und den Eltern nicht förderlich, wenn es sich ständig überwacht fühle. In Europa ist eine Lancierung des «Milo Champ Band» laut eines Sprechers nicht geplant, da hier die Marke Milo nicht verkauft wird. Doch Nestlé hat viele Marken. (aargauerzeitung.ch)