Die Blockchain-Technologie wird immer noch in
Verbindung mit Bitcoins gebracht. Warum stimmt das so nicht?
Oliver Gahr: Die Macher von
Bitcoins waren Pioniere in der Anwendung dieser Technologie, allerdings in eine
sehr speziellen Art und Weise. Bitcoin ist eine so genannte Kryptowährung. Sie
können nur innerhalb des Bitcoin-Systems Transaktionen machen, also innerhalb
eines anonymen Netzwerkes.
Geht es auch anders? Kann man die Blockchain
auch als ein ausgeklügeltes Tauschsystem für alles Mögliche betrachten?
Ja, das kann man. Eine
Blockchain hilft, alles was einen Wert hat, zu digitalisieren und so viel
effizienter auszutauschen. Dank der Blockchain werden schriftliche Verträge,
Abrechnungen, etc. überflüssig.
Bitocins sind so gesehen eine Sackgasse für die
Blockchain-Technologie?
Bitcoin ist eine ganz
bestimmte Variante der Anwendung einer Blockchain. Sie beruht auf einem speziellen Konsens, will heissen: Alle diese unbekannten Netzwerkteilnehmer müssen einer
Transaktion zustimmen, bevor sie wirksam wird. Das braucht in der Bitcoin-Implementierung enorm Computerpower und
somit auch viel Strom. Die Energiekosten sind denn auch das grosse Problem für
das Bitcoin-Netz.
Sehen Sie eine Chance, dass sich Bitcoins zu
einer globalen Währung entwickeln können, die das gesamte Bankensystem
inklusive Zentralbanken überflüssig machen?
Nein. Bitoins sind wie
erwähnt eine Kryptowährung in einem anonymen Netz. Damit kann man kein
tragfähiges Netz für einen globalen Geldtransfer aufbauen. Für mich ist ein solches System auch nicht
sinnvoll. Wenn ich mit jemanden einen Handel abschliesse, dann beruht das auf
Vertrauen. Dieses Vertrauen muss auch digital abgebildet werden.
Die Blockchain werde alles verändern,
lautet ihre These. Weshalb?
Im so genannten
«Internet der Dinge» sehe ich ein sehr grosses Potenzial für die Blockchain.
Alles, was einen Wert hat, kann mit dieser Technik einfach und schnell
abgerechnet werden, und zwar so, dass es keine Zweifel mehr gibt. Oder nehmen
Sie ein Entwicklungsland, in dem die Eigentumsrechte nur vage definiert sind.
Solange sich die Menschen auf schriftliche Verträge verlassen müssen, können
sie jederzeit alles verlieren. Ist dieses Recht jedoch in einer Blockchain
festgehalten, dann ist das nicht mehr möglich. Sie lässt sich nicht mehr
manipulieren.
Die Finanzindustrie unternimmt grosse Anstrengungen
in Sachen Blockchain. Sind Banken und Versicherungen tatsächlich an dieser
Technologie interessiert – oder wollen sie eine für sie bedrohliche Entwicklung
abwürgen?
Auch die Banken müssen
sich der Digitalisierung stellen, mit allen Veränderungen, die damit verbunden
sind. Dass sie auch versuchen, für sie unangenehme Entwicklungen zu bremsen, mag
sein. Das ändert jedoch nichts daran, dass auch sie die grossen Vorteile der
Blockchain-Technologie nutzen wollen, allein schon aus Kostengründen.
Was machen Sie, wenn Sie als
IBM-Blockchain-Spezialist zu einem Unternehmen kommen?
Ich will meinen Kunden
klarmachen, dass wir heute mit der Blockchain über eine Technologie verfügen,
die seine Prozesse beschleunigen und sicherer machen können, und dass sie so
viel Geld sparen können. Ich kenne keinen Kunden, der daran nicht interessiert wäre.
Allerdings gibt es keine Patentlösungen. Man muss schon sehr genau abklären,
was Sinn macht und was nicht.
Können Sie das an einem konkreten Beispiel
erläutern?
Everledger ist ein
Unternehmen, das mit Diamanten handelt, und zwar von der Schürfmiene bis zum
Endverbraucher. Dieser Handel ist vollkommen digitalisiert, alle Zertifikate,
Formulare, etc. werden digital aufbereitet und in einer Blockchain abgelegt.
Auf diese Weise kann jederzeit nachverfolgt werden, woher ein Diamant stammt
und wo er sich derzeit befindet. Gefälschte Diamanten oder «Blutdiamanten»
haben so keine Chance mehr, in diese Kette einzudringen.
Im Zusammenhang mit der Blockchain ist immer
wieder auch von «smart contracts», intelligenten Verträgen, die Rede. Was hat
man sich darunter vorzustellen?
Es geht darum,
herkömmliche Verträge in Code zu übersetzen und dieser Code wird mit jeder
Handlung verifiziert. Es wird abgeklärt, ob ich mich an die Abmachungen halte
oder nicht. Wenn ich beispielsweise ein Auto lease und die Leasingrate nicht
mehr bezahlen, dann fährt das Auto nicht mehr, und zwar automatisch.
Wenn nun immer mehr Bereiche der Wirtschaft mit
Blockchains und intelligenten Verträgen ausgestattet werden, wird sich dann
auch die Art und Weise, wie unsere Wirtschaft funktioniert verändern?
Die Blockchain bringt
schon in den bestehenden Systemen grosse Vorteile. Und es geht auch nicht
darum, ein gesamtes Businessmodell schlagartig auf eine Blockchain umzustellen.
Neben der Blockchain ist die künstliche
Intelligenz derzeit das grosse Thema der Digitalisierung. Gibt es zwischen den
beiden einen Zusammenhang?
Das sind zwei völlig
verschiedene Paar Schuhe. Denken ist nicht Sinn und Zweck der Blockchain. Es
ist auch nur Hype, wenn man die beiden zusammenführen will. Das Ergebnis sind
absolut sinnlose Projekte. Überhaupt ist eine Blockchain nur dann gut, wenn man
auch die richtige Anwendung dafür hat. Wenn nur wir beide zusammen ein Geschäft
abschliessen, dann brauchen wir keine Blockchain. Wenn wir uns aber in einem
Verbund mit 10 bis 15 unterschiedlichen Parteien befinden, dann macht es Sinn.
Dann muss ich nicht mehr jedem einzelnen Partner vertrauen, sondern der
Technologie. Sie zwingt alle meine Partner dazu, die Regeln einzuhalten.
Ist die Blockchain somit die Lösung gegen
Cyber-Kriminalität und Kreditkarten-Betrug?
Sie wird diese Dinge
zumindest verringern.
Werden wir dank der Blockchain auch die
Passwörter-Plage los?
Auch das kann mit
digitalen Identitäten vereinfacht werden. Wenn wir beispielsweise die
Autoschlüssel und die Motorfahrzeug-Papiere digitalisieren und in einer
Blockchain ablegen, dann ist jederzeit nachweisbar, wer der Eigentümer dieses
Autos ist.
Vor einem Jahr war der Begriff Blockchain nur
Experten bekannt. Wie schnell wird sich diese Technologie durchsetzen?
Es gibt heute mehr als
Prototypen, es gibt bereits funktionierende Projekte. Viele Unternehmen gucken
sich diese Projekte an und machen selbst kleine Tests. Ich gehe davon aus, dass
wir in den nächsten zwei Jahren viele konkrete Umsetzungen sehen werden. Schon
in fünf Jahren wird sehr Vieles auf einer Blockchain abgebildet sein.
In Brooklyn tauschen Menschen schon heute
Solarstrom mit Hilfe einer Blockchain.
Das Brooklyn-Grid ist
ein Zusammenschluss von Besitzern von Photovoltaik-Anlagen, die sich in einem
lokalen Netzwerk zusammengeschlossen haben. Wer wieviel Strom erhält, ist in
einer Blockchain festgelegt.
Blockchain ist somit nicht nur für Banken und
Grosskonzerne geeignet?
Im Gegenteil. Gerade
kleine Tauscheinheiten, etwa das so genannte Micro-Payment, sind auf einer
Blockchain sehr interessant. In den heutigen Prozessen ist das Abrechnen mit
kleinen Beträgen viel zu aufwändig.
Wo sehen Sie weitere Anwendungsbereiche?
Die EU soll angeblich
prüfen, Wahlen mittels der Blockchain-Technologie durchzuführen. Das wäre
ideal, gerade in Zeiten, wo stets und überall der Verdacht des Wahlbetrugs
erhoben wird. Wenn ich Wahlen über eine
Blockchain abwickle, dann brauche ich keine Wahlbeobachter mehr. Und ich erreiche
auch Leute, die heute nicht zur Wahl gehen. Ich kann dann meine Stimme mit
Hilfe des Smartphones bequem vom Sofa aus abgeben.