Auf dem Devisenmarkt ist derzeit ein seltenes Phänomen zu beobachten: Der Franken, der Euro und der Dollar sind alle ungefähr gleich viel wert. Die Ökonomen sprechen von einer Parität. Doch anders als etwa 2015, als die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Untergrenze von 1.20 Franken gegenüber dem Euro nicht mehr verteidigte und die europäische Währung kurzfristig unter die Parität fiel, bleiben Thomas Jordan und seine Crew gelassen. Es gibt keine Anzeichen, dass die SNB den Franken mit Interventionen auf den Devisenmärkten schwächen will. Weshalb?
Der Grund liegt bei der Inflation. Im Euroraum bewegt sie sich um die acht Prozentpunkte, bei uns um drei. Das ist zwar für Schweizer Verhältnisse ebenfalls hoch, aber noch keineswegs besorgniserregend. Der starke Franken hilft zudem, die Teuerung in einem erträglichen Rahmen zu halten. So gehen beispielsweise die Ökonomen der Swiss Life in ihrer jüngsten Prognose davon aus, dass die Inflation bei uns im laufenden Jahr auf 2,4 Prozentpunkte, im nächsten Jahr gar auf 1,3 Prozentpunkte fallen wird.
Die SNB hat dazu das Ihre beigetragen. Mitte Juni hob sie überraschenderweise den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte an und löste sich damit erstmals seit Langem aus dem Windschatten der Europäischen Zentralbank (EZB). Dieser Alleingang schien bis vor Kurzem noch undenkbar.
Die Differenz bei den Inflationsraten erklärt das forsche Vorgehen der SNB. Die höhere Teuerung in Euroland kompensiert den stärkeren Franken. Schweizer Touristen erhalten für ihre Franken zwar mehr Euros, doch wenn sie sich nun in den Sommerferien am Mittelmeer an die Sonne legen, wird dieser Gewinn durch die höhere Teuerung im Euroraum wieder weggefressen. Unter dem Strich ändert sich an der Kaufkraft nichts.
Schweizer Unternehmen ihrerseits können beruhigt konstatieren, dass die Aufwertung des Frankens durch die höhere Inflation der Konkurrenz in Deutschland oder Frankreich kompensiert wird. Ihre Wettbewerbsfähigkeit bleibt daher intakt. Kommt dazu, dass der weitaus grösste Anteil der Schweizer Exporte auf die Pharmaindustrie entfällt und diese für Währungsschwankungen relativ unempfindlich ist.
Warum aber verläuft der Teuerungsschub bei uns im Vergleich zu Euroland relativ milde? Die Ökonomen der UBS haben darauf eine einleuchtende Antwort. In ihrem jüngsten Outlook Schweiz weisen sie darauf hin, dass der Anteil der Energiekosten hierzulande deutlich tiefer ist als in Euroland. Schweizer Haushalte müssen 5,5 Prozent ihres Einkommens für Energie (Treibstoff plus Strom oder Erdgas) aufwenden, in der EU sind es durchschnittlich 11 Prozent. Zudem ist auch der Energiehunger der Schweizer Wirtschaft deutlich kleiner als derjenige in Euroland.
Die explodierenden Energiepreise sind ein wichtiger Treiber der aktuellen Inflationswelle. Der zweite Treiber ist die US-Notenbank, die Fed. Damit sind wir beim weit weniger erfreulichen Aspekt der Parität angelangt.
Obwohl die Inflation in den USA ebenfalls rund acht Prozentpunkte beträgt, hat der Dollar deutlich zugelegt. Der Grund liegt darin, dass die Fed ihre Leitzinsen bereits aggressiv erhöht und weiter Zinsschritte in Aussicht gestellt hat. Der EZB hingegen sind die Hände gebunden. Sie muss auf die Interessen von Ländern wie Italien, Spanien und auch Frankreich Rücksicht nehmen. Sie alle haben rekordhohe Staatsschulden. Eine zu starke Erhöhung der Leitzinsen hätte zur Folge, dass sie ihre Zinsen nicht mehr bedienen könnten.
Dazu kommt, dass der Krieg in der Ukraine die europäische Wirtschaft härter trifft als die amerikanische. Während die USA sich noch Hoffnung auf eine weiche Landung machen können, scheint eine Rezession auf dem alten Kontinent kaum mehr zu vermeiden zu sein. Ein zu abrupter Anstieg der Leitzinsen hätte zur Folge, dass der Absturz der europäischen Wirtschaft noch drastischer ausfallen würde.
Der Dollar-Euro-Wechselkurs ist einer der wichtigsten Faktoren der Weltwirtschaft. Es wird daher Folgen haben, wenn sich der Euro gegenüber dem Greenback in kurzer Zeit um rund zwölf Prozentpunkte abgewertet hat. Gemäss Lehrbuch müssten die europäischen Unternehmen von einem schwachen Euro profitieren, denn ihre Wettbewerbsfähigkeit nimmt zu. Das trifft jedoch nur bedingt zu, denn gleichzeitig werden für sie die Importe von Rohstoffen teurer, denn diese sind in Dollar notiert.
Deshalb hat die Parität zu einem weiteren, seltenen Phänomen geführt: Im Monat Mai hat der ehemalige Exportweltmeister Deutschland erstmals wieder seit 1991 ein Handelsdefizit vermeldet.
Unter dem starken Dollar leiden auch die Schwellenländer. Viele ihrer Schulden sind im Greenback notiert, und auch für sie ist der Import von Erdöl und anderen Rohstoffen teurer geworden.
All dies deutet darauf hin, dass die Weltwirtschaft einmal mehr turbulenten Zeiten entgegensteuert. Mit der Gelassenheit der SNB könnte es daher bald zu Ende sein.