Wenn am 20. November die Fussball-WM in Katar beginnt, bleiben die Bildschirme in einigen Bars schwarz - zumindest in Deutschland. So boykottieren verschiedene Kölner Kneipen den Anlass im Wüstenstaat, wie der Kölner «Stadt-Anzeiger» berichtet. Unter dem Motto «Kein Katar in meiner Kneipe» hat auch ein Düsseldorfer Barbesitzer eine Bewegung ins Leben gerufen, wie der WDR berichtet.
Dem Ruf des Weltfussverbands Fifa hat die Vergabe der WM nach Katar nicht geholfen. Es ist ein Land in dem die lokale Liga lediglich eine Handvoll Fans interessiert und die Temperaturen keinen Spielbetrieb im Sommer erlauben. Hartnäckig hält sich der Verdacht, dass bei der Vergabe nicht alles mit rechten Dingen zu und her ging.
Für Kritik sorgt zudem, dass die Infrastruktur von Arbeitsmigranten gebaut wurde, die oft für wenig Geld in extremer Hitze arbeiten müssen. Der «Guardian» enthüllte letztes Jahr, dass auf Katars Baustellen in den letzten zehn Jahren 6500 Menschen aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka ihr Leben verloren.
Auch Ausbeutung, Abhängigkeitsverhältnisse und sexuelle Gewalt sind laut Amnesty International im Emirat ein grosses Problem - und Homosexualität ist in Katar verboten. Gründe für Kritik und Boykotte gibt es also genügend. Doch gleichzeitig ist auch das Bedürfnis der Kundinnen und Kunden nach Live-Übertragungen da. Wie gehen Schweizer Bars mit diesem Dilemma um?
Beni Pfister ist Geschäftsführer der Fussballbar «Didi Offensiv» in Basel. Die Frage eines Boykotts habe er mit anderen Betreibern schon früh diskutiert. «Eine gemeinsame Haltung fanden wir nicht», sagt er. «Wir werden die Fussball-WM zeigen. Wir sind eine Fussball-Beiz und durch Corona sowieso noch angeschlagen. Wir können nicht auf diese Einnahmen verzichten.»
Man müsse genau schauen, wer den Boykott durchziehe: «Wenn das Bars sind, die mit Sport nicht viel am Hut haben und jetzt ethisch-moralische Überlegungen vermarkten, habe ich Mühe.» Zudem hielten verschiedene Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International einen Boykott für nicht zielführend.
Doch die Augen verschliessen vor den Todesfällen und den schwierigen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen wolle er nicht. «Wir organisieren einen Vortrag mit Rita Schiavi, die für die Unia gearbeitet hat und in internationalen Gewerkschaften aktiv ist. Sie war mehrfach in Katar und hat Baustellen besucht», sagt Pfister. Die Arbeit der Gewerkschaften habe schliesslich die Situation auch deutlich verbessern können. Tatsächlich wendete sich die Situation zumindest auf den Stadion-Baustellen laut der Unia in den letzten Jahren zum Besseren.
Dass Korruptionsgerüchte die Vergabe der WM begleiten und es «eine Energie- und Geldverschwendung ist, eine WM in Katar zu organisieren», bleibe zwar problematisch, sagt Pfister. «Bei künftigen Vergaben muss Nachhaltigkeit eine grössere Rolle spielen. Wir als Bar können den Fussball aber nicht verändern.»
Er rechnet mit guten Besucherzahlen - auch wenn sie nicht an eine WM im Sommer herankommen dürften. Einerseits finden am Anfang des Winters viele Firmenanlässe und Weihnachtsessen statt. «Andererseits gehen im Sommer viele am Feierabend mit Kollegen ein Bier trinken und schauen die Spiele nebenbei, weil sie draussen sitzen können. Dieses Publikum wird uns fehlen.»
Dass in der kalten Jahreszeit keine grossen Übertragungen in der Gartenbeiz stattfinden können, wird sich auch in der Sportbar Bärn auswirken - allerdings positiv. «Da wir einen grossen geheizten Innenraum haben und nicht Public Viewing im Aussengelände anbieten, rechnen wir mit einem sehr grossen Andrang», sagt Geschäftsleiter Luc Estermann.
Auch seine Bar stehe den Arbeitsbedingungen, der repressiven Haltung in Katar und einer WM im Winter kritisch gegenüber. «Es gab ein Abwägen zwischen unserer kritischen Haltung und einer Dienstleistung an der ganzen Fussball-Fangemeinde in der Schweiz», sagt Estermann. «Da wir ein Dienstleister sind, der seinen Fans etwas bieten und sie nicht verärgern möchte, haben wir uns entschieden, die Schweizer Spiele und sicher alle Spiele ab dem Viertelfinale zu zeigen.»
Andere Bars hadern noch mit der Entscheidung. Bei der Calvados Bar in Zürich heisst es etwa, man müsse die Haltung dazu erst noch finden. Selbst bei der Mars Bar im Herzen des Kreis 4 heisst es, wahrscheinlich werde man zumindest die Spiele der Schweiz zeigen.
Die meisten angefragten Bars und Pubs verweisen auch darauf, dass sie sich nach der Coronakrise in einer Situation befinden, die es nicht erlaube, auf Einnahmen zu verzichten. Tatsächlich bewertete nur jeder dritte teilnehmende Gastro-Betriebe die Geschäftslage im Juli als «gut», wie die jüngst veröffentlichte Konjunkturumfrage der ETH Zürich und des Verbands Gastrosuisse zeigt.
Das liegt allerdings nicht nur an den Einnahmen, denn diese stiegen zuletzt stark an. Im zweiten Quartal stieg der Umsatz in der Restauration gemäss den Daten um 88 Prozent im Vergleich zum allerdings schwachen Vorjahresquartal. Schon im ersten Quartal war eine Steigerung um 98 Prozent zu verzeichnen gewesen.
Die meisten Betriebe gehen zudem davon aus, dass die Nachfrage im laufenden dritten Quartal zunimmt. Doch die steigenden Energiepreise und höhere Löhne sind ein immer grösserer Kostenblock. Gleichzeitig fehlt das Personal und die Rekrutierung gestaltet sich zusehends schwieriger.
Das zeigt sich auch in den Statistiken des Bundes. Demnach zählte die Gastronomie Ende des ersten Quartals knapp 167'000 Beschäftigte - 15 Prozent weniger als vor Ausbruch der Coronakrise. Woher die fast 25'000 Mitarbeitenden kommen sollen, die für den gleichen Bestand nun wieder nötig wären, darüber zerbricht sich derzeit mancher Wirt den Kopf. Doch selbst wenn das Personal fehlt: Wenn die Fussball-Fans das Bier fliessen lassen, wollen die wenigsten Gastronomen aus Idealismus abseits stehen. (aargauerzeitung.ch)
Gary H., Barbesitzer.