Es ist die vermutlich grösste Angst frischgebackener Eltern. Und die Angst schleicht sich in den Zauber der ersten Tage, Wochen und vielleicht sogar Monate nach der Geburt eines Kindes: der plötzliche Kindstod. Dass also der kleine Schläfer, wenn er nicht gerade leise schnarcht, nicht mehr atmen könnte. Und so stehen Eltern nachts manchmal am Bett, auch wenn sie nicht durch Schreien geweckt wurden und prüfen, ob das Kind noch atmet.
Bisher wusste man nur, dass der plötzliche Kindstod am häufigsten im zweiten bis vierten Lebensmonat vorkommt und man kannte gewisse Risikofaktoren: Bauchlage, zu viel Bettzeug wie Kissen, Rauchen und Drogenkonsum im Haushalt, Mehrlingsgeburten und Untergewicht. Zwar gingen die Zahlen in den letzten Jahren zumindest in der Schweiz zurück und liegen inzwischen bei weniger als zehn Todesfälle pro Jahr. Und bleibt es für Neugeborene, die sonst gesund sind, eines der grössten Sterberisiken.
Das Unheimlichste daran: Bisher wusste man nicht, was tatsächlich die Ursache für den plötzlichen Kindstod ist. Doch nun haben australische Forschende um die Biochemikerin Carmel Therese Harrington einen starken Hinweis gefunden: Sie hatten in einer Studie, die nun in einem Journal des The Lancet erschien, getrocknetes Blut des auch in der Schweiz standardmässig gemachten Neugeborenen-Screenings untersucht. Dabei wird das Blut wenige Tage nach der Geburt auf Stoffwechselkrankheiten getestet, die früh erkannt, oft gut behandelt werden können.
60 dieser noch vorhandenen Blutproben von später verstorbenen Kindern aus dem Kinderspital Westmead verwendeten die Forschenden und stellten fest: Ein Enzym mit dem Namen Butyrylcholinesterase (BChE) war viel weniger aktiv, als im Blut von Kindern, die wegen einer anderen Ursache im selben Zeitraum starben und auch im Vergleich mit Neugeborenen, die nicht starben. Das Enzym ist für eine Regulation im Gehirn verantwortlich, welche auch die Atmung beeinflussen kann.
Dass beim plötzlichen Kindstod neuronale Strukturen eine Rolle spielen, in denen der Neurotransmitter Acetylcholin synthetisiert und dann von der Butyrylcholinesterase verarbeitet wird, wurde schon früher vermutet. Nun zeigt sich, dass vermutlich vor allem zweiterem, der Butyrylcholinesterase dabei eine wichtige Rolle zukommt. Dieses Enzym ist noch wenig erforscht. Bekannt ist aber inzwischen, dass es auch als Alzheimer-Biomarker verwendet werden kann.
Was genau geschieht, wenn der Neurotransmitter Acetylcholin weniger verarbeitet wird, ist noch Spekulation: Es könnte eine Infektion begünstigen, einen Atemaussetzer im Schlaf oder die CO2-Wiedereinatmung.
Ansatzweise erklärt ist nun auch, warum Rauchen das Risiko für den plötzlichen Kindstod verdreifacht. Wenn Ungeborene Zigarettenrauch oder auch Alkoholkonsum ausgesetzt sind, reduziert das vermutlich die Interaktion von Acetylcholin mit den Synapsen im Gehirnstamm. Es kann ausserdem eine andere neuronale Struktur im Zentralen Nervensystem, die serotonerge, hemmen. Beide beeinflussen die automatischen Atmung.
Die Hoffnung ist nun, dass die Bestimmung des Butyrylcholinesterase-Levels das Risiko von Neugeborenen bezüglich des plötzlichen Kindstods voraussagen – und später auch durch eine Therapie senken kann.
Eltern, die ihr Kind durch so verloren haben, hilft dies nicht, doch ein Trost ist dabei: Der Hauptgrund des Todes lag nicht in ihren Händen.
https://www.schn.health.nsw.gov.au/news/articles/2022/05/world-first-breakthrough-could-prevent-sids
Damals wurde jedoch ausdrücklich die Bauchlage propagiert weil sonst das Baby in der Rückenlage am Erbrochenen ersticken könnte.
Ich hoffe dass diese neuen Erkenntnisse auch Einzug in die Prävention findet, dh. dass entsprechende Untersuchungen gemacht werden, vorallem bei früheren klaren oder unklaren Fällen in der Familienanamnese. Die technischen Lösungen mit den vielen Fehlalarmen sind nicht gerade vorteilhaft. Ich habe damals aber auch über einen Fall gehört, wo das Kind während dem Stillen verstorben ist.