Jedes Jahr besuchen drei bis vier Millionen Touristen den Yellowstone-Nationalpark und bewundern dort Naturwunder wie den Geysir Old Faithful, der alle 60 bis 90 Minuten ausbricht. Nicht alle von ihnen dürften wissen, dass es unter ihren Füssen noch viel gewaltiger brodelt als in den Schlammtöpfen und Schwefelseen – unter dem ältesten Nationalpark der Welt befindet sich der grösste Supervulkan auf dem amerikanischen Kontinent.
Die nach seinem letzten Ausbruch vor 640'000 Jahren entstandene Caldera ist so gross wie Korsika; die Magmakammer, die in mehr als acht Kilometer Tiefe unter dem Park liegt, ist 80 Kilometer lang, 40 Kilometer breit und 10 Kilometer mächtig. 15'000 km³ Magma lagern hier – genug Zündstoff für eine Katastrophe globalen Ausmasses.
Bei einem Ausbruch würden tausende Kubikkilometer Lava mit Überschallgeschwindigkeit 50 Kilometer hoch in die Stratosphäre geschleudert. Glühende Lavalawinen würden in der Umgebung jedes Leben vernichten. Ganz Nordamerika würde von Ascheregen bedeckt. Vulkanischer Staub würde um den ganzen Globus getragen. Es käme zu einem «vulkanischen Winter» mit Nahrungsknappheit und Hungersnöten.
Kein Wunder, dass Wissenschaftler diese tickende geologische Zeitbombe genau studieren. Insbesondere interessiert es die Vulkanologen, woher das Magma in der Kammer stammt. Bisherige Untersuchungen hatten die Quelle bis in 440 Kilometer Tiefe verortet. Diskutiert wurde aber auch eine Quelle in knapp 3000 Kilometer Tiefe an der Grenze zwischen Erdmantel und Erdkern.
Genau dies konnten nun Peter Nelson und Stephen Grand von der University of Texas nachweisen. Sie erstellten ein Modell des Erdmantels, indem sie die Daten von mehr als 500 seismischen Messstationen in den USA auswerteten. Diese seismische Tomographie sei gewissermassen eine Computer-Tomographie der Erde, erklärte Nelson.
Dabei werden aber keine Röntgenstrahlen eingesetzt, sondern die Wellen von starken Erdbeben gemessen. Diese seismischen Wellen zeigen, wo das Gestein geschmolzen ist, weil sie sich verlangsamen, wenn sie durch heisse Gesteinszonen laufen, und schneller werden, wenn sie auf kalte Schichten stossen.
Der sogenannte Mantelplume – ein Magmaschlauch, der sich wie ein Schweissbrenner durch die Erdkruste brennt – hat seinen Ursprung laut der im Fachmagazin «Nature Geoscience» publizierten Studie an der Kern-Mantel-Grenze. Tief unter Mexiko, nahe an der Grenze zu Kalifornien, ist das Gestein um bis zu 850 Grad heisser als normal.
Dieses heisse, teilweise geschmolzene Material steigt in einer 350 Kilometer breiten Zone nach oben. In einer Tiefe von etwa 1000 Kilometern lenken Unterschiede in der Viskosität des Erdmantels den Plume Richtung Nordosten ab – wo er die Magmakammer unter dem Yellowstone-Nationalpark speist.
Die Magmamenge, die sich dort angesammelt hat, könnte den Grand Canyon elfmal füllen. Allerdings zeigen Messungen, dass das Gestein unter dem Nationalpark sehr heiss ist, aber nur zu weniger als einem Zehntel flüssig. Das flüssige Magma ist in einzelnen Blasen in den Gesteinsporen eingeschlossen wie in einem Schwamm aus Stein – deshalb droht gemäss dem Geologischen Dienst der USA derzeit keine grössere Eruption. Der Dienst rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:700'000 pro Jahr mit einer grossen Eruption.
In geologischer Terminologie hingegen ist der nächste Ausbruch des Yellowstone-Supervulkans gleichwohl fällig. «Fällig» bedeutet in dieser Wissenschaft, die mit sehr langen Zeiträumen rechnet: innerhalb einiger tausend Jahre.
(dhr)