Als die wissenschaftliche Debatte um menschliche Mobilität aufgrund des Klimawandels in den 80er-Jahren aufblühte, begann erst mal ein Streit: Wie sollen die betroffenen Menschen genannt werden? «Klimaflüchtlinge», hiess es zu Beginn – heute macht man aufgrund definitorischer Probleme um diesen Begriff einen weiten Bogen. «Klimamigranten»? Eigentlich sind die Begriffe «Migrantin» und «Migrant» für Menschen bestimmt, welche ihren Wohnsitz auf Dauer verlegen. Viele Betroffene verschieben diesen aber nur saisonal oder kurzfristig – und das innerhalb desselben Staates. Klimamigration ist grossmehrheitlich Binnenmigration. Zusätzlich zu unterscheiden sind auch die Ursachen. Handelt es sich dabei um «normale» Umweltereignisse oder um solche, welche (so eindeutig wie möglich) auf den Klimawandel zurückzuführen sind? Und wurde die Migration erzwungen oder fusst sie zu einem gewissen Grad auch auf Freiwilligkeit?
Alle diese nicht trennscharf unterscheidbaren Indikatoren haben dazu geführt, dass die kolportierten und erwarteten Mengen von Klimamigrantinnen weit auseinandergehen. Die Studie des Thinktanks Institute for Economics and Peace aus dem Jahr 2020 erwartet bis in das Jahr 2050 eine Milliarde Betroffene. Der Groundswell-Bericht II der Weltbank (2021) glaubt an 216 Millionen interne Klimamigrantinnen, vorwiegend im Globalen Süden (86 Millionen in Subsahara-Afrika, 40 Millionen in Süd-Asien und 17 Millionen in Lateinamerika).
Die Zahlen der fünf meist betroffenen Staaten in diesem Artikel stammen allesamt vom Internal Displacement Monitoring Center (IDMC) der norwegischen Flüchtlingshilfe. Sie umfassen nur die Binnenmigration, also Bewegungen innerhalb desselben Staates.
Wie die Beispiele zeigen, handelt es sich hier um eine Momentaufnahme aus dem Jahr 2022. Ein Jahr zuvor wäre der traurige Spitzenreiter nicht in den Top-5 erschienen. Pakistan verzeichnete 2021 «nur» 70'000 Verschiebungen. 2022 multiplizierte sich diese Zahl um mehr als das Hundertfache.
Von Klimamigration betroffen ist primär der Globale Süden. Das hat nicht nur klimatische Ursachen, sondern liegt auch am Ausbau der Infrastruktur. Reichere Länder sind bei der Installation von Gegenmassnahmen finanziell schlagkräftiger.
2,44 Millionen Menschen wurden in Nigeria aufgrund von Fluten und Stürmen vertrieben. Ebenfalls ein Katastrophenjahr war 2012, als über 3 Millionen Menschen ihr angestammtes Heim verlassen mussten.
2,51 Millionen Binnenvertriebene gab es in Indien im letzten Jahr. Sie wurden vor allem während der Regenzeit Ende Mai bis Ende Oktober Opfer von Überschwemmungen getroffen. Im Land mit der grössten Bevölkerung der Welt müssen jedes Jahr Millionen Menschen binnenmigrieren. Im Jahresvergleich war 2022 sogar unterdurchschnittlich. Wie in Nigeria war auch hier 2012 ein Katastrophenjahr. Damals mussten 9,1 Millionen (mehr als die gesamte Schweizer Bevölkerung) flüchten.
Mit 3,6 Millionen wurden am drittmeisten Binnenvertriebene 2022 in China gemeldet. Ein Drittel davon hat Muifa zu verantworten. Chinas Staatssender CCTV meldete, dass es sich dabei seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1949 um den ersten Taifun handle, der die 25-Millionen-Metropole Shanghai heimsuche.
5,44 Millionen vertriebene Menschen aufgrund von Naturereignissen meldete der Inselstaat Philippinen. Auch hier war ein spezifischer Sturm, der Taifun Nalgae, für den Grossteil verantwortlich. Er vertrieb im Oktober 3 Millionen Menschen.
Pakistan ist trauriger Titelträger mit den meisten Binnenmigranten im Jahr 2022. 8,17 Millionen Menschen wurden hier vertrieben. Vor allem die beiden südlichen Provinzen Sind und Belutschistan waren betroffen. Verantwortlich dafür waren von Juni bis Oktober andauernde Flutkatastrophen, die über 1000 Menschen das Leben kosteten und Schäden im zweistelligen Milliardenbereich verursachten. Den enormen Regenmengen, das Fünf- bis Siebenfache des Normalwertes, war eine verheerende Dürre vorangegangen. Aufgrund dieser waren die Böden zu hart, um die Wassermassen absorbieren zu können.
Mit Ausnahme von China haben alle betroffenen Länder seit 2000 mehrstelliges Bevölkerungswachstum erlebt. Am „moderatesten“ noch Indien mit +40% und am extremsten Nigeria mit +80%.