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Klimamigration: Wo es bereits heute dazu kommt

Wo es bereits heute zu Klimamigration kommt

27.11.2023, 11:0525.03.2024, 08:40
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Als die wissenschaftliche Debatte um menschliche Mobilität aufgrund des Klimawandels in den 80er-Jahren aufblühte, begann erst mal ein Streit: Wie sollen die betroffenen Menschen genannt werden? «Klimaflüchtlinge», hiess es zu Beginn – heute macht man aufgrund definitorischer Probleme um diesen Begriff einen weiten Bogen. «Klimamigranten»? Eigentlich sind die Begriffe «Migrantin» und «Migrant» für Menschen bestimmt, welche ihren Wohnsitz auf Dauer verlegen. Viele Betroffene verschieben diesen aber nur saisonal oder kurzfristig – und das innerhalb desselben Staates. Klimamigration ist grossmehrheitlich Binnenmigration. Zusätzlich zu unterscheiden sind auch die Ursachen. Handelt es sich dabei um «normale» Umweltereignisse oder um solche, welche (so eindeutig wie möglich) auf den Klimawandel zurückzuführen sind? Und wurde die Migration erzwungen oder fusst sie zu einem gewissen Grad auch auf Freiwilligkeit?

Alle diese nicht trennscharf unterscheidbaren Indikatoren haben dazu geführt, dass die kolportierten und erwarteten Mengen von Klimamigrantinnen weit auseinandergehen. Die Studie des Thinktanks Institute for Economics and Peace aus dem Jahr 2020 erwartet bis in das Jahr 2050 eine Milliarde Betroffene. Der Groundswell-Bericht II der Weltbank (2021) glaubt an 216 Millionen interne Klimamigrantinnen, vorwiegend im Globalen Süden (86 Millionen in Subsahara-Afrika, 40 Millionen in Süd-Asien und 17 Millionen in Lateinamerika).

Die Zahlen der fünf meist betroffenen Staaten in diesem Artikel stammen allesamt vom Internal Displacement Monitoring Center (IDMC) der norwegischen Flüchtlingshilfe. Sie umfassen nur die Binnenmigration, also Bewegungen innerhalb desselben Staates.

Wie die Beispiele zeigen, handelt es sich hier um eine Momentaufnahme aus dem Jahr 2022. Ein Jahr zuvor wäre der traurige Spitzenreiter nicht in den Top-5 erschienen. Pakistan verzeichnete 2021 «nur» 70'000 Verschiebungen. 2022 multiplizierte sich diese Zahl um mehr als das Hundertfache.

Von Klimamigration betroffen ist primär der Globale Süden. Das hat nicht nur klimatische Ursachen, sondern liegt auch am Ausbau der Infrastruktur. Reichere Länder sind bei der Installation von Gegenmassnahmen finanziell schlagkräftiger.

Nigeria

FILE- People wade through flooded roads in Bayelsa, Nigeria, Oct. 20, 2022. West and Central African countries are battling deadly floods that have upended lives and livelihoods, raising fears of furt ...
20. Oktober 2022: Menschen waten durch die Flut in Bayelsa, Nigeria.Bild: keystone

2,44 Millionen Menschen wurden in Nigeria aufgrund von Fluten und Stürmen vertrieben. Ebenfalls ein Katastrophenjahr war 2012, als über 3 Millionen Menschen ihr angestammtes Heim verlassen mussten.

Indien

epa10300058 A resident passes through a waterlogged road following heavy rainfall, in Chennai, India, 11 November 2022. The Indian Meteorological Department (IMD) issued a red alert for four districts ...
Eine Einwohnerin von Chennai im November 2022.Bild: keystone

2,51 Millionen Binnenvertriebene gab es in Indien im letzten Jahr. Sie wurden vor allem während der Regenzeit Ende Mai bis Ende Oktober Opfer von Überschwemmungen getroffen. Im Land mit der grössten Bevölkerung der Welt müssen jedes Jahr Millionen Menschen binnenmigrieren. Im Jahresvergleich war 2022 sogar unterdurchschnittlich. Wie in Nigeria war auch hier 2012 ein Katastrophenjahr. Damals mussten 9,1 Millionen (mehr als die gesamte Schweizer Bevölkerung) flüchten.

China

Mit 3,6 Millionen wurden am drittmeisten Binnenvertriebene 2022 in China gemeldet. Ein Drittel davon hat Muifa zu verantworten. Chinas Staatssender CCTV meldete, dass es sich dabei seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1949 um den ersten Taifun handle, der die 25-Millionen-Metropole Shanghai heimsuche.

Philippinen

epa10274519 Filipino coast guard personnel conduct a rescue mission in the flood-hit town of Kawit, Cavite province, Philippines, 30 October 2022. Heavy rains brought by Typhoon Nalgae killed 45 peopl ...
Oktober 2022: Mitglieder der philippinischen Küstenwache evakuieren Einwohner des Dorfes Kawit. Bild: keystone

5,44 Millionen vertriebene Menschen aufgrund von Naturereignissen meldete der Inselstaat Philippinen. Auch hier war ein spezifischer Sturm, der Taifun Nalgae, für den Grossteil verantwortlich. Er vertrieb im Oktober 3 Millionen Menschen.

Pakistan

FILE - Homes are surrounded by floodwaters in Sohbat Pur city, a district of Pakistan's southwestern Baluchistan province, Aug. 30, 2022. This past year has seen a horrific flood that submerged o ...
Ein überschwemmtes pakistanisches Dort in der Provinz Belutschistan.Bild: keystone

Pakistan ist trauriger Titelträger mit den meisten Binnenmigranten im Jahr 2022. 8,17 Millionen Menschen wurden hier vertrieben. Vor allem die beiden südlichen Provinzen Sind und Belutschistan waren betroffen. Verantwortlich dafür waren von Juni bis Oktober andauernde Flutkatastrophen, die über 1000 Menschen das Leben kosteten und Schäden im zweistelligen Milliardenbereich verursachten. Den enormen Regenmengen, das Fünf- bis Siebenfache des Normalwertes, war eine verheerende Dürre vorangegangen. Aufgrund dieser waren die Böden zu hart, um die Wassermassen absorbieren zu können.

Links: der Süden Pakistans im August 2021. Rechts: dieselbe Region ein Jahr später während der Flut.
Links: der Süden Pakistans im August 2021. Rechts: dieselbe Region ein Jahr später während der Flut.bild: wikimedia

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54 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Grobianismus
27.11.2023 11:22registriert Februar 2022
Man kann derzeit darüber diskutieren, wie man Klimaflüchtlinge nennt, aber auf lange Zeit werden diese wohl auch den Wohnsitz auf Dauer verlegen müssen.
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Lowend
27.11.2023 11:39registriert Februar 2014
Es klingt zynisch, aber einige Politiker und Parteien hier in Europa freut dieses menschliche Elend sicherlich insgeheim, weil Flüchtende das Wasser auf ihre Mühlen sind. Ist man ein Schelm, wenn man bemerkt, dass es die gleichen Parteien sind, die sich gegen griffige Massnahmen zum Schutz des Klimas aussprechen?
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nichtMc
27.11.2023 12:18registriert Juli 2019
Handelt es sich wirklich um Auswirkungen der Klimaveränderungen (welche ich nicht in Frage stelle) oder der Überbevölkerung?
Mit Ausnahme von China haben alle betroffenen Länder seit 2000 mehrstelliges Bevölkerungswachstum erlebt. Am „moderatesten“ noch Indien mit +40% und am extremsten Nigeria mit +80%.
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