Mit düsterem Blick starrt Karim Oneyi auf seine deformierte linke Hand. Er war mit seinem Fischerboot auf dem Victoriasee in Uganda unterwegs, als es passierte: «Es geschah am 26. Januar 2006 kurz vor Sonnenuntergang, als ich gerade in der Nähe des Strandes angelte», erinnert sich der heute 40-Jährige aus dem Ort Wairaka, 95 Kilometer östlich der Hauptstadt Kampala.
«Plötzlich entdeckte ich ein seltsames Gebilde im Wasser, das wie Seegras aussah. Aber dann schnappte es sich meine Hand und zog mich in die Tiefe.» Oneyi war in die Fänge eines hungrigen Krokodils geraten.
«Ich konnte mich nicht aus seinem Maul befreien und kämpfte mit ihm», erzählt der dünne Mann mit bitterer Stimme. Dann seien Helfer herbeigeeilt, die das riesige Tier mit Stockhieben vertrieben hätten. «Schliesslich liess es von mir ab, aber es ist schlimm, sich im Erwachsenenalter auf diese Weise eine Behinderung zuzuziehen.» Wenige Jahre später wurde auch Oneyis Bruder Opfer eines ähnlichen Angriffs. Er trug schwere Wunden an beiden Armen davon.
Immer wieder machen die ugandischen Riesen-Reptilien Schlagzeilen, so zuletzt, als Tierschützern am 30. März ein 800-Kilogramm-Krokodil ins Netz ging. Es hatte zuvor mindestens sechs Menschen gefressen. Das grösste jemals in Uganda gefundene Exemplar wog 1000 Kilogramm und soll nach Angaben der staatlichen Tierschutzbehörde UWA bis 2005 mindestens 83 Menschen getötet haben.
Insgesamt konnten in den vergangenen zehn Jahren 79 Killer-Krokodile eingefangen und in Nationalparks umgesiedelt werden. Vielen gelang es aber, in ihre Heimatgewässer zurückzukehren und dort erneut Angst und Schrecken zu verbreiten.
Neben dem Lake Victoria bevölkern sie auch den Albertsee, den Kyogasee und den Weissen Nil. Nach UWA-Angaben starben allein seit dem Jahr 2000 mehr als 340 Menschen durch Angriffe der grossen Reptilien.
Jedoch befürchten Experten, dass die Zahl noch viel höher sein könnte, da nicht alle tödlichen Attacken gemeldet werden. «Krokodile sind in Uganda ein sehr ernstes Problem», sagt der für Problemtiere zuständige UWA-Direktor Peter Ogwang. Ihr Appetit auf Menschen werde angeregt, weil die Seen überfischt seien: «Es gibt nicht mehr genug Fisch für die Tiere zu fressen, also greifen sie Menschen an.»
Viele Bürger sind wütend auf die Regierung, weil diese es verpasst habe, die Fische in den Seen besser zu schützen. «Selbst siebenjährige Kinder dürfen schon angeln gehen, um den Eltern zu helfen», beklagt der 59-jährige Hamza Mugarya. Nach dem UNO-Fischereibericht für Afrika aus dem Jahr 2012 ist Uganda trotz mittlerweile abnehmender Tendenz noch immer mit Abstand der grösste Produzent von Süsswasserfisch auf dem Kontinent.
Wie viele Krokodile es in dem Land insgesamt gibt, ist unklar. Jüngsten UWA-Zählungen zufolge wurden aber allein in einem kleinen Gebiet im Nordwesten des Albertsees mehr als 600 Exemplare registriert. «Sie sammeln sich in Gebieten an, wo viele Fischer unterwegs sind und schlagen dann zu. Wenn ein Mensch getötet wurde, strömen andere Krokodile herbei, die sich ebenfalls an dem Körper zu schaffen machen.» Da sich immer mehr Menschen rund um die Seen ansiedelten, gebe es auch immer mehr Beute für die gefährlichen Reptilien.
Die Behörden versuchen derweil, die Bevölkerung zu mehr Vorsicht zu erziehen: «Wir raten den Leuten, nicht mehr schwimmen zu gehen und sich kein Wasser aus den Seen zu holen», sagt UWA-Experte Charles Tumwesigye. «Wir erklären, dass sie zum Fischen grössere Boote nehmen und uns sofort alarmieren sollen, wenn sie ein Krokodil sehen.»
Jedoch sei dringend Geld nötig, um die Tiere mit modernen Methoden einfangen und in anderen Regionen wieder auswildern zu können. «Derzeit machen wir das alles manuell, und viele unserer Mitarbeiter werden dabei verletzt», sagt Tumwesigye.
Unter den Anwohnern, die täglich auf die Seen hinausfahren, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, geht weiter die Angst um. «Krokodile sind wahnsinnig schlau und schnell», sagt der Fischer Henry Nnyanzi. «Sie greifen an, bevor man sie sieht oder hört.»
Vor vier Jahren sei ein Freund ganz in der Nähe von einem der «Menschenfresser» in Stücke gerissen worden, erinnert er sich. «Wir haben nur seine Beine beerdigen können, den Rest seines Körpers hatte das Krokodil verschlungen.» (sda/dpa/whr)