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Sex-Abo-Fallen für das Smartphone: Es gibt sie doch, nur wurde diese Masche bislang nicht durch die Staatsanwaltschaft untersucht

Die Sex-Abo-Falle

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Die Sex-Abo-Falle
Die dubiose britische Firma Pulsira Limited hat zahlreiche Porno-Sites betrieben, Zutritt «Strikt ab 18 Jahren» ...
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Swisscom verzichtet auf Strafanzeige

Sex-Abo-Fallen für das Smartphone: Es gibt sie doch, nur wurde diese Masche bislang nicht durch die Staatsanwaltschaft untersucht

Wegen «missbräuchlichen Zugriffs» auf Kundendaten hat die Swisscom die Zusammenarbeit mit der Firma VAS Tools AG beendet. Juristische Schritte werden jedoch nicht ergriffen.
21.12.2014, 15:1609.06.2017, 08:20
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Diese Woche informierte die Staatsanwaltschaft March über die Einstellung der Untersuchungen gegen die Inkassofirmen PayPay AG und Obligo AG. Nach umfangreichen Ermittlungen lägen «keine Hinweise auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten» vor.

Auf den ersten Blick mag der Entscheid erstaunen. Doch es gibt eine plausible Erklärung. Denn die Sex-Abo-Falle, wie sie der «Tages-Anzeiger» im November publik machte, war gar nicht Gegenstand der abgeschlossenen Untersuchung. Dies bestätigt der Leitende Staatsanwalt Patrick Fluri auf Anfrage von watson. 

So wurden die Handy-Nummern abgegriffen

Der «Tages-Anzeiger» konnte anhand mehrerer Fälle und in Zusammenarbeit mit der Swisscom nachvollziehen, wie man beim Surfen mit dem Handy ungewollt in eine Abo-Falle tappt.

Durch das Aufrufen präparierter Webseiten wurde unbemerkt und blitzschnell die Gerätenummer des Nutzers abgegriffen. Dann wurde über den Zugang der Firma VAS Tools AG auf die Swisscom-Verrechnungsstelle Easypay zugegriffen und die zu dem Smartphone gehörende Handynummer abgefragt. 

Swisscom-Sprecher Olaf Schulze bestätigt: «Kundenseitig ist gemäss unseren Recherchen keine bewusste Interaktion erfolgt.» Die Kunden seien automatisiert durch ein Werbenetzwerk auf die Webseite des fehlbaren Partners (VAS Tools AG, Anmerkung der Red.) weitergeleitet worden, dann wurde die Bezahlschnittstelle (Easypay) angesprochen und mit der Rufnummer angereichert. Anschliessend wurde der Kunde auf die Angebotsseite einer Drittfirma weitergeleitet.

In den darauffolgenden Tagen kontaktierte ein Call-Center die Smartphone-Besitzer, um die Postadresse herauszufinden. Dann flatterte die Rechnung für ein Sex-Abo in den Briefkasten.

Im Auftrag von Pulsira Limited kassiert

«In den von uns geprüften Klagen ging es nicht um ein solches Vorgehen», bestätigt der Leitende Staatsanwalt, Patrick Fluri. Sollten dazu neue Beschwerden, respektive Strafanzeigen, eingehen, dann würde dies selbstverständlich zu neuen Abklärungen führen.

Die Swisscom bestätigt auf Anfrage, dass es sich um Porno-Seiten der britischen Firma Pulsira Limited gehandelt hat. In der Schweiz wird das Inkasso durch PayPay AG und Obligo AG gemacht. Dies hat der Berner Rechtsanwalt Hans-Ulrich Hunziker, der im Verwaltungsrat der beiden Firmen sitzt, dem «Tages-Anzeiger» bestätigt. Gegenüber watson verteidigte Hunziker das Geschäftsgebaren: «Bei den Firmen PayPay AG und Obligo AG handelt es sich um seriöse Firmen, die sich stets an sämtliche Vorschriften hielten und halten.»

In welchem Ausmass Pulsira Limited in der Schweiz mit Sex-Abos Kasse gemacht hat, ist nicht bekannt. Die britische Firma hat bislang nicht auf eine Anfrage von watson reagiert.

Auch zum Verhältnis von VAS Tools AG und Pulsira Limited gibt es keine Angaben. Geschäftsführer Cengiz Peker: «Wir geben grundsätzlich keine Auskunft über unsere Geschäftsbeziehungen zu Kunden und Lieferanten.»

Swisscom kündigt Verträge

Die Firma VAS Tools AG verwehre sich gegen die Unterstellung des Missbrauchs der Swisscom-Schnittstelle, schreibt Peker per E-Mail.  «Unsere interne Untersuchung hat ergeben, dass es sich bei dem von der Swisscom erwähnten Fall lediglich um eine übliche Werbenetz-Weiterleitung des Besuchers auf eine externe Webseite und nicht um eine Weitergabe der Rufnummer handelt».

Die Swisscom sieht dies definitiv anders. Dazu Olaf Schulze: «Nach Erkenntnissen von Swisscom hat VAS Tools missbräuchlich die zur Verfügung gestellte Easypay-Plattform genutzt, um Handynummern von Kunden abzugreifen, die die von VAS Tools betreuten Erotik-Seiten mit ihrem Smartphone besucht haben.» Daraufhin habe die Swisscom den Zugang gesperrt und sämtliche Verträge mit der Firma gekündigt.

Anmerkung: Der Easypay-Vertrag mit VAS Tools (bei dem der Missbrauch stattfand) wurde von Swisscom fristlos per 10. November 2014 gekündigt und der Vertrag für sogenannte «SMS Business Numbers» fristgerecht per 31. Dezember 2014.

VAS Tools entgeht Strafanzeige

Hat die VAS Tools AG mit dem missbräuchlichen Zugriff auf die Easypay-Schnittstelle und dem Abgreifen von Kundendaten gegen das Gesetz verstossen? Laut Einschätzung eines unabhängigen Experten könnte das Fernmeldegeheimnis verletzt worden sein, als die sensiblen Kundendaten bei der Swisscom abgegriffen wurden.

watson hat bei der zuständigen Staatsanwaltschaft im Schwyzer Bezirk Höfe angefragt. Eine Antwort steht aus.

Sicher ist: Die Swisscom hat nach der Prüfung rechtlicher Schritte beschlossen, keine Strafanzeige gegen die VAS Tools AG einzureichen. Die Begründung des grössten Schweizer Telekom-Anbieters: 

«Das missbräuchliche Abgreifen der Handynummern ist zwar ein klarer Verstoss gegen die vertraglichen Bestimmungen, Swisscom schätzt aber die Chancen als gering ein, dass dies für sich allein genommen zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen kann.»

Man setze weiterhin auf eine strenge Kontrolle der Angebote, versichert der Swisscom-Sprecher. Das Unternehmen prüfe die angebotenen Geschäftsmodelle der Neukunden vor der Aktivierung und analysiere bei Verdacht auch die Angebote der Mehrwertdienste-Firmen. Bei Unregelmässigkeiten würden sofort Massnahmen eingeleitet.

Bislang kein Rechtshilfe-Ersuchen

Nach der von der Staatsanwaltschaft March eingestellten Untersuchung lassen sich folgende Fakten zusammenfassen:

• Die Staatsanwaltschaft March hat bei den Ermittlungen zu Pulsira Limited, PayPay AG und Obligo AG das oben geschilderte Vorgehen (mutmassliche Sex-Abo-Falle) nicht untersucht.

• Die Staatsanwaltschaft March konnte die mutmassliche Sex-Abo-Falle nicht untersuchen, weil ihr dafür keine Anhaltspunkte vorlagen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hatte auch nicht deswegen geklagt.

• Die Staatsanwaltschaft March hat nicht untersucht, ob zwischen PayPay AG und Obligo AG sowie der VAS Tools AG geschäftliche Beziehungen bestehen. (Die Verantwortlichen der Firmen stellen in Abrede, dass es eine solche Beziehung gibt.)

• Die Staatsanwaltschaft March hat keine Ermittlungen bezüglich der Schweizer Geschäftsbeziehungen der in London domizilierten Firma Pulsira Limited getätigt. Ein Rechtshilfe-Ersuchen an Grossbritannien wurde nicht gestellt, ermittelt wurde ausschliesslich bei den im Kanton Schwyz angesiedelten Firmen PayPay AG und Obligo AG.

Die Vorgeschichte

Eine wachsende Zahl von Schweizer Smartphone-Nutzern musste sich 2014 mit Rechnungen der Inkassofirmen PayPay AG und Obligo AG herumschlagen. Die Betroffenen sollen für ein Sexvideo-Abo bezahlen, das sie angeblich von Pulsira Limited bezogen hatten.

Viele Leute versichern jedoch, sie hätten niemals wissentlich ein solches Abonnement abgeschlossen. Beim Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) in Bern gingen Hunderte Beschwerden ein. Schliesslich erstattete der Bund Anzeige am Sitz der Inkassofirmen im Kanton Schwyz. Daraufhin musste die Staatsanwaltschaft klären, ob bei Abo-Abschlüssen unlautere Methoden angewendet worden waren. Untersucht wurden allerdings Fälle vor Bekanntwerden der oben geschilderten Sex-Abo-Falle.

Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ist noch nicht rechtskräftig. Das SECO hat noch nicht entschieden, ob angesichts der neuen Erkenntnisse Beschwerde gegen den Entscheid erhoben wird. Denkbar wäre natürlich auch eine neue Strafanzeige.

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