Neuerdings streiten sich CVP-Politiker auf Twitter darüber, wie sich die Partei künftig positionieren soll. Entfacht hatte die Diskussion gestern ein einfacher Tweet: «Die Zersplitterung der Mitte muss aufgehalten werden, um der Polarisierung im Parlament die Stirn bieten zu können.» Das schrieb der Co-Präsident der Jungen CVP Solothurn, Luca Strebel.
Die Zersplitterung der Mitte muss aufgehalten werden, um der Polarisierung im Parlament die Stirn bieten zu können. https://t.co/L04hvtMiaI
— Luca Strebel (@StrebelLuca) October 20, 2015
Darauf antwortete Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (SO): «Meine Rede!» Und erwartet von den Mitteparteien vor allem, dass sie ein Zweiparteiensystem verhindern. Deshalb fordert er: «Zusammenrücken!»
Das alleine reicht wiederum dem Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler nicht, er stellt die Richtungsfrage: Mitte-rechts, Mitte-Mitte oder Mitte-links?
Spätestens seit den Wahlen steht die Frage im Raum: Wohin steuert die Partei? Diese stellt sich nicht nur, weil die CVP das Zünglein an der Waage bei den Bundesratswahlen spielen wird. Parteiintern geht das Rennen um einen neuen Parteipräsidenten in die heisse Phase.
Die breite Öffentlichkeit interessiert vor allem, wie die Partei am 9. Dezember stimmen wird: Unterstützt sie Eveline Widmer-Schlumpf? Schickt sie einen eigenen Kandidaten? Oder wählt sie einen zweiten SVP-Politiker in den Bundesrat?
Je nach dem, wen man in der Partei fragt, fallen die Antworten ganz unterschiedlich aus. Stand heute sind alle Szenarien möglich. Die Zürcher Nationalrätin Kathy Riklin sagt: «Ich bin ziemlich sicher, dass Eveline Widmer-Schlumpf noch vor den Bundesratswahlen zurücktreten wird.» Doch das heisse nicht, dass die CVP einem zweiten SVP-Bundesrat die Stimme gebe. «Die Mitte-Koalition kann einen eigenen Kandidaten aufstellen.»
Gerhard Pfister hat sich hingegen schon mehrfach für einen zweiten SVP-Bundesratssitz ausgesprochen. Auf seiner Seite stehen die drei Tessiner der CVP-Fraktion plus sechs weitere Christdemokraten, wie das «St. Galler Tagblatt» gestern berichtete. Widmer-Schlumpfs Wiederwahl stehe deswegen auf der Kippe.
Für die Partei selbst ist der Nachfolger von Präsident Christophe Darbellay die ungleich wichtigere Wahl. Engler verlangt: «Bevor wir die Parteileitung neu bestimmen, müssen wir zuerst den inhaltlichen Kompass stellen: Welche Ziele und welche Werte soll die Partei verfolgen?»
Der Bündner ist dezidiert der Meinung, die CVP solle sich auf ihre konservativen Werte zurückbesinnen. Ob er damit eine Mehrheit der Fraktion hinter sich bringen kann, ist fraglich. Der Zuger Gerhard Pfister, dem der Ruf des rechtesten Christdemokraten vorauseilt, sagt: «Etwa ein Drittel der Fraktion zähle ich zum rechten Flügel.»
Also doch eher links? Müller-Altermatt will eben gerade nicht über Flügelkämpfe reden, sondern über Themen. Und zwar jene Themen, welche die Mitte einen. Die Asyl- und Rentenreform sowie die Energiestrategie und die Europapolitik seien Projekte, welche GLP, BDP und CVP gemeinsam anpacken müssten. Faktisch bedeutet das: Abgrenzung gegen rechts.
Wie die CVP weiter vorgehen will, kann sie nicht nur über Twitter bereden, das muss sie intern ausjassen. Zeit bleibt ihr bis zum 23. April. Dann wird der Parteivorstand neu gewählt.
Bis spätestens am 14. Februar müssen sich alle Bewerber gemeldet haben. Gleichwohl kursieren seit Monaten immer wieder dieselben Namen möglicher Aspiranten. Auf die Äste hinaus wagte sich bisher keiner.
Trotz wiederholter Dementi halten sich folgende Namen hartnäckig im Rennen: Der Bündner Martin Candinas, der gerne seine junge Familie als Grund vorschiebt, weshalb er auf das Amt verzichten wolle.
Der Solothurner Pirmin Bischof, der vor einem halben Jahr das Fraktionspräsidium abgelehnt hatte, weil er beruflich zu stark ausgelastet sei (oder heimlich auf das Parteipräsidium schielte). Und Gerhard Pfister, der sich eine Kandidatur überlegt, aber sagt, dass er noch nicht entschieden habe.
Mit dem Präsidenten, den die Partei dereinst wählt, bestimmt sie den Kurs, den sie in den kommenden Jahren einschlagen will. Dieser hängt nicht zuletzt auch von den fünf neu gewählten Kandidaten ab. Geben sie der Partei den nötigen Rechtsdrall, um Pfister den Weg zum Präsidenten zu ebnen?
Ein Blick auf die Neugewählten gibt Aufschluss: Der ehemalige Postchef Claude Bégle (VD) vertritt anders als sein Vorgänger Jacques Neirynck den rechten Flügel der Partei.
Allerdings verabschiedeten sich mit Markus Lehmann und Ruedi Lustenberger just zwei CVPler, welche ebenfalls den rechten Rand abdeckten. Der linke Flügel wurde im Wallis und in St. Gallen mit zwei Politikern der Christlich-sozialen Partei (CSP) gestärkt.
CVP-Generalsekretärin Béatrice Wertli sagt: «Wir haben die neue Fraktion noch nicht analysiert.» Vom Schiff aus gesehen bleibe der Kurs aber derselbe: Ab- und Neuwahlen wiegen sich auf. Sie stelle also keine Verschiebung fest.
Die CVP muss womöglich nicht nur einen neuen Präsidenten küren, sondern auch einen Bundesrat stellen, falls Doris Leuthard demnächst zurücktreten sollte.
Auch für diesen Posten werden vielen Parteimitgliedern Ambitionen nachgesagt, unter ihnen Pirmin Bischof und Gerhard Pfister.
Letzterer gibt aber vor: «Wer die Parteileitung übernehmen will, muss sich von Bundesrats-Ambitionen verabschieden.» Zu viele Wechsel in der Führung täten der Partei nicht gut. (trs/aargauerzeitung.ch)