Am Tag nach dem gewaltigen Erdbeben in Nepal befindet sich das Land im Ausnahmezustand. Vor den Krankenhäusern liegen Tote neben Tausenden Verletzten. Von vielen Häusern stehen nur noch Ruinen. Strassen sind aufgerissen und unbefahrbar. Historische Pilgerstätten und Denkmäler wurden zerstört, ganze Bergdörfer ausgelöscht. Teilweise graben die Menschen mit blossen Händen in den Trümmern nach Überlebenden. Es gibt keinen Strom und bald wohl auch keine Lebensmittel mehr.
Das Ausmass der Katastrophe ist noch nicht erfasst, zu vielen abgelegen Gebieten gibt es keine Verbindung. Klar ist nur, dass es sich um das schlimmste Erdbeben im Himalaya seit fast einem Jahrhundert handelt. Fast stündlich korrigieren die Behörden die Zahl der Todesopfer nach oben. Allein in Nepal kamen nach Angaben des Innenministeriums 2352 Menschen ums Leben. Auch in den benachbarten Ländern Indien, China und Bangladesch starben Menschen durch das Erdbeben.
Viele Bewohner Kathmandus harren derzeit unter freiem Himmel aus. Sie flohen auf die Strassen, als die Erde mit einer Stärke von 7.9 erzitterte. Nun trauen sie sich nicht in ihre Häuser zurück, es besteht weiterhin Einsturzgefahr. Denn auch mehr als 24 Stunden nach dem Erdbeben erschüttern immer noch Nachbeben die Region, die auf der Richterskala noch Stärken bis zu 6.7 erreichen.
Parks, Gehwege und öffentlichen Plätze haben sich in Zeltstädte verwandelt, sagte ein Sprecher des Roten Kreuzes. Selbst Präsident Ram Baran Yadaf habe in einem Zelt geschlafen, hiess es im Lokalradio. Krankenhäuser sind so überfüllt, dass sie im Freien behandeln. «Unter den Toten sind viele Kinder», sagte Doktor Pratab Narayan aus dem Teaching-Krankenhaus. «Wir sind völlig überwältigt von der Zahl an Menschen.»
Gleichzeitig werden Versorgungsmittel und Vorräte knapp. Blutkonserven und Medikamente gingen zur Neige, warnt die Uno. Alina Shrestha von der Hilfsorganisation World Vision versorgt in ihrem Garten bis zu 50 Menschen. «Wir haben noch bis morgen Essen und Trinken. Was dann kommt, weiss ich nicht. In Kathmandu sind die meisten Läden geschlossen, und wenn sie wieder öffnen, wird es einen gewaltigen Ansturm geben», sagte sie SPIEGEL ONLINE. (Lesen Sie hier ihren Bericht zum Erdbeben.)
Die schweren Erschütterungen lösten am Mount Everest Lawinen aus und rissen mindestens 19 Menschen in den Tod. Am höchsten Berg der Erde ist gerade Hauptsaison, Hunderte Bergsteiger sind im Gletscher. Eine Staublawine begrub das Basislager unter sich. Mehrere Hubschrauber landeten am Sonntag in dem Camp. 65 Verletzte seien ausgeflogen worden, teilte die nepalesische Bergsteigervereinigung mit. Schwer Verwundete wurden direkt in die Hauptstadt Kathmandu gebracht. Doch zu etwa 100 bis 150 Menschen in der Everest-Region bestehe derzeit kein Kontakt. Viele von ihnen könnten in höheren Camps am Berg sein.
Nepals Regierungschef Sushil Koirala bat «ausländische Freunde» um Hilfe und Unterstützung. «Wir werden diese dunkle Zeit zusammen durchstehen», sagte er. In den betroffenen Gebieten, in denen ungefähr 6.6 Millionen Menschen leben, wurde der Notstand ausgerufen. Hilfsflugzeuge aus aller Welt erreichten die Hauptstadt Kathmandu, mit Gütern wie Nahrungsmitteln, Medikamenten und Kommunikationsgeräten. Koordiniert wird die Hilfe vom Uno-Büro zur Nothilfe-Koordinierung (OCHA).
Auch deutsche Hilfsorganisationen machen sich bereit. Das Deutsche Rote Kreuz wollte am Montagabend von Berlin ein Flugzeug mit 60 Tonnen Zelten, Decken, Hygienepaketen, einer Trinkwasseraufbereitungsanlage und anderen Hilfsgütern nach Nepal schicken.
(gam/dpa/Reuters/AFP)