Bei der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gibt es einem Bericht zufolge eine zunehmende Zahl von Aussteigern. Mindestens 58 Mitglieder hätten die Gruppe seit Januar vergangenen Jahres verlassen, davon allein 17 zwischen Juni und August dieses Jahres, hiess es in einem am Montag veröffentlichten Bericht des am Londoner King's College ansässigen Politikinstituts International Center for the Study of Radicalisation (ICSR).
Der Bericht zeigt auch die Gründe der Abtrünnigen auf, die Terrormiliz zu verlassen. 58 Deserteure aus 17 Ländern wurden befragt. Die vier Hauptgründe:
Ein IS-Aussteiger, der in dem Bericht als Ebrahim B. aus Deutschland identifiziert wurde, erklärte, er und zwei Dutzend Kameraden seien zur Bekämpfung Assads nach Syrien gegangen, dann aber von der Realität vor Ort eingeholt worden. «Muslime kämpfen gegen Muslime, Assad ist in Vergessenheit geraten, der ganze Dschihad ist auf den Kopf gestellt worden», sagte B. den Autoren.
Diese Schilderung sei zwar nicht repräsentativ, heisst es in dem Bericht. Jedoch sei in den Gesprächen deutlich geworden, dass es die Dschihadisten-Utopie nicht gebe, die in den Videos der Miliz suggeriert werde. Viele der Kämpfer seien kritisch gegenüber der Strategie und Taktik, mit der der IS operiere. Die Kritik, der IS würde stark gegen sunnitische Rebellen kämpfen, wurde häufig laut.
Viele ehemalige Kämpfer empfanden das als falsch, kontraproduktiv und mit religiösen Gründen nicht legitimierbar. Zudem werfen Deserteure dem IS vor, nicht deutlich genug gegen das Assad-Regime vorzugehen. Der Fokus würde auf Streitigkeiten mit anderen Rebellen liegen und dem mutmaßlichen Enttarnen von Spionen oder Verrätern. Das sei nicht die Art von Dschihad, für den sie nach Syrien und in den Irak gereist seien.
Gerade Kämpfer aus dem Westen sollen zudem nur schlecht mit den Lebensumständen klargekommen sein, die etwa mit einer schlechten Elektrizitätsversorgung einherging. Damit verbunden sei der Aspekt, dass das heroische Bild eines Kämpfers, das viele Dschihadisten pflegen, sich als realitätsfern erwies. So beschwerten sich einige Deserteure über die Aufgaben oder dass einige Kämpfer als «Kanonenfutter» missbraucht worden seien. Zwei ehemalige Kämpfer erzählten, dass ihre Anführer sie als Selbstmordattentäter einsetzen wollten. Sie hätten jedoch erst die Kriegsbeute geniessen wollen.
Den IS zu verlassen, sei schwierig und gefährlich, heisst es in dem Bericht. Aus Angst vor Racheaktionen seien zahlreiche Ex-IS-Kämpfer untergetaucht, viele sässen noch in Syrien oder im Irak fest.
In dem Bericht werden die Regierungen dazu aufgefordert, es den früheren IS-Kämpfern leichter zu machen, sich ohne Strafandrohung zu äussern. Zwar sei es «wahrscheinlich», dass einige der Deserteure Verbrechen begangen hätten, dennoch könnten ihre Aussagen dazu beitragen, andere vom Beitritt zur IS-Terrormiliz abzuhalten, hiess es in dem Bericht. Die Autoren der Studie weisen aber auch darauf hin, dass die Gründe, dem IS den Rücken zu kehren, ebenso komplex sein können wie die Gründe, der Miliz beizutreten, und die Darstellungen durch persönliche Interessen gefärbt sein können.
Fallstudie: «Victims, Perpetrators, Assets: The Narratives of Islamic State Defectors», auf Deutsch «Opfer, Täter, Spione: Die Narrative der Deserteure des Islamischen Staates».
(dwi/sda/afp)
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