Seit Mark Zuckerberg vor einer Woche WhatsApp für 19 Milliarden US-Dollar übernommen hat, dominieren alternative Kurznachrichten-Apps die Download-Charts. Allen voran Telegram, ein russischer WhatsApp-Klon, der vor allem durch seine vollständige Verschlüsselung glänzt. Auch Schweizer Messenger-Apps wie Threema, Myenigma und Swisscoms iO reiten auf der Empörungswelle.
Threema , die App des Zürcher Start-ups Kasper Systems, soll in den letzten Tagen über eine Million Downloads verzeichnet haben. Telegram spricht gar von mehreren Millionen neuen Nutzern innerhalb weniger Tage.
#Telegram is now the #1 App in Switzerland, Austria, Germany, Netherlands, Mexico + 6 more countries. Over 800 000 new users signed up today
— Telegram Messenger (@telegram) February 21, 2014
Auch Swisscom lässt uns über Twitter wissen, dass der iO-Messenger täglich drei mal häufiger als vor dem WhatsApp-Deal heruntergeladen werde.
Nach Whatsapp Deal: Auch heute 3x mehr Downloads unserer Kommunikationsapp iO als üblich https://t.co/YxEQCW4GCz
— Swisscom Medienteam (@Swisscom_Medien) February 21, 2014
Freunde fordern mich auf Facebook auf, das unsichere WhatsApp fallen zu lassen. Eine Kollegin schlägt Threema vor, der Informatikerfreund Telegram – die wenigsten sind sich der Ironie bewusst, wenn ausgerechnet Facebook-Nutzer das Argument Datensicherheit bemühen.
Facebooks Geschäftsmodell bestand schon immer darin, unsere Daten zu Geld zu machen. Und WhatsApp ist seit Jahren löchrig wie ein Emmentaler. Zeitweise entdeckten Sicherheitsforscher fast monatlich kritische Sicherheitslücken. Gekümmert hat's die Wenigsten. Was WhatsApp mit den Nutzerdaten tut, liegt ebenfalls im Dunkeln. Nach dem Verkauf an Facebook scheint zumindest geklärt, wer die gesammelten Informationen zu Geld macht.
Als sich Mark Zuckerberg vor zwei Jahren die Foto-App Instagram unter den Nagel riss, war der Aufschrei eingefleischter Instagram-Fans ähnlich gross. Alternativen wie Hipstamatic profitierten kurzfristig von der kollektiven Empörung. Heute ist Instagram populärer als je zuvor. Wann haben Sie zuletzt von Hipstamatic gehört? Auch WhatsApp mit seinen über 450 Millionen Nutzern und täglich bis zu einer Million neuen Anmeldungen droht von den kleinen Rivalen keine Gefahr. Zum Vergleich: Swisscoms iO-Messenger wird an einem normalen Tag 2500 bis 3000 Mal heruntergeladen.
Fakt ist: Nicht der NSA-Überwachungsskandal oder die Sicherheitsprobleme von WhatsApp, sondern der Anti-Facebook-Reflex beschert alternativen Messenger-Apps derzeit Zulauf. Threema und Telegram kann dies egal sein. Sie nutzen die Gunst der Stunde, könnten aber schon in wenigen Wochen, wenn sich die Empörung gelegt hat, wieder in den Tiefen der App-Stores verschwunden sein. Trotzdem: Dass von der WhatsApp-Übernahme nicht primär bekanntere Messenger-Apps wie Viber oder Line profitieren, sondern Newcomer, die den Datenschutz ernst nehmen, ist erfreulich.
Die grosse Herausforderung für Telegram, Threema oder Myenigma ist es nun, die neuen Nutzer zu halten. Und das ist alles andere als gewiss. Kurznachrichten-Apps funktionieren wie Facebook als soziale Netzwerke. Doch ein Netzwerk ist nur so stark, wie die Anzahl Freunde, die es nutzen. Die Geisterstadt Google+ zeigt eindrücklich, wie schwierig es ist, Menschen im grossen Stil zum Wechseln zu bewegen und langfristig an sich zu binden. Der vermeintliche Facebook-Killer ist Mitte 2011 mit einem bekannten Namen und viel Tamtam gestartet. Die Anzahl meiner Freunde, die Google+ heute nutzen, kann ich an einer Hand abzählen.
Genau gleich sieht es bei Threema und Co. aus. Von meinen rund 200 im Smartphone gespeicherten Kontakten nutzen exakt 100 WhatsApp. Nur je 15 haben sich für Telegram und Threema entschieden. Die meisten davon sind Informatiker oder Technik-Interessierte, die praktisch jede neue App ausprobieren, die gerade angesagt ist. Die Frage, welche Kurznachrichten-App in meinem Alltag noch länger den Ton angeben wird, dürfte daher beantwortet sein.