
Führungstrio einer schwächelnden Partei: Fraktionschef Balthasar Glättli, flankiert von den Co-Präsidentinnen Adèle Thorens (l.) und Regula Rytz.
Bild: KEYSTONE
Die Umfragen
verheissen nichts Gutes für die Grüne Partei der Schweiz (GPS). Das
Problem ist hausgemacht: Bei zu vielen Exponenten vermisst man das
Herzblut für den Umweltschutz.
23.09.2015, 14:4724.09.2015, 14:10
Regula Rytz
verbreitet Optimismus: «Wir sind sehr gut in Form und bestreiten einen engagierten Wahlkampf», sagte die Co-Präsidentin
der Grünen Partei im Gespräch mit watson. Die schlechten
Umfragewerte, die den Grünen unisono eine Niederlage am 18. Oktober
vorhersagen, hätten eine «Jetzt erst recht»-Stimmung an der Basis bewirkt. «Wir sind Tag und Nacht unterwegs und
haben eine erfreuliche Resonanz», sagte Rytz.
Das ist auch nötig,
denn eines kann die Berner Nationalrätin nicht abstreiten: «Wir
haben Luft nach oben bei der Mobilisierung.» Besonders deutlich zeigte
sich dies bei den Wahlen im Kanton Zürich im April, als die Grünen
sechs Sitze im Kantonsrat verloren, wodurch ihre Abordnung um einen
Drittel schrumpfte. Ausserdem wurde ihr Regierungsrat
Martin Graf nach nur vier Jahren im Amt abgewählt. Das ist kein
Zeichen von Formstärke, sondern von akuter Schwäche.

Ein sichtlich enttäuschter Martin Graf nach seiner Abwahl als Regierungsrat.
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Für das Zürcher
Debakel macht Regula Rytz unter anderem die Aufhebung des
Euro-Mindestkurses durch die Nationalbank im Januar verantwortlich.
Die Sorge um Wirtschaft und Arbeitsplätze habe ökologische Themen
verdrängt. Tatsächlich geniesst der Umweltschutz auf der
Sorgenliste des Schweizer Stimmvolkes keine Priorität. Im
SRF-Wahlbarometer liegt er auf Platz 5. Ganz oben steht mit weitem
Abstand der Komplex Ausländer/Asyl/Migration.
Verschwunden sind
die Umweltprobleme deswegen nicht, im Gegenteil. Der heisse und trockene Sommer hat das Problem der Klimaerwärmung wieder ins
Bewusstsein gerückt. Die Energiewende ist eines der grossen Themen
der Schweizer Politik, in der nächsten Legislatur wird es zum
Showdown im Parlament und wohl an der Urne kommen. Mit etwas
Geschick könnten die Grünen daraus Profit schlagen, doch irgendwie
will es ihnen nicht gelingen.
Woran liegt das? Bei
ihrer Gründung vor mehr als 30 Jahren waren die Grünen ein Sammelbecken für
Umweltpolitiker aller Couleur. Neben Öko-Aktivisten gehörten ihnen
auch ehemalige SVPler an wie der langjährige Zürcher Nationalrat
Hans Meier. Als sich 2004 im Kanton Zürich die Grünliberalen
abspalteten, gehörte Meier zu den «Abtrünnigen». Heute sind die
Grünen ganz klar eine «rote» Partei. Zeitweise waren sie sogar
deutlich links von der SP positioniert.
Zahlreiche führende
Exponenten der Partei haben ihre Wurzeln nicht in der Umweltbewegung,
sondern im linken bis linksradikalen Milieu: Der Zürcher Nationalrat
und Fraktionspräsident Balthasar Glättli, sein Luzerner Kollege
Louis Schelbert, der Aargauer Geri Müller, oder auch der 2011
abgewählte Zuger alt Nationalrat Jo Lang. Der frühere
Parteipräsident Ueli Leuenberger war Sozialarbeiter und
Gewerkschafter, mit Schwerpunkt Asylpolitik und Integration.

Ueli Leuenberger, Geri Müller und Louis Schelbert sind mehr rot als grün.
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Geht es um
Fremdenfeindlichkeit, kann sich der nach Genf ausgewanderte Berner in
Rage reden. Bei Umweltthemen wirken seine Voten oft, als spule er
ein Pflichtprogramm herunter. Besonders deutlich wurde dies vor vier
Jahren: Im März 2011 ereignete sich die Atomkatastrophe in Fukushima – ein Steilpass für die Grünen. Doch nie
hatte man bei Leuenberger den Eindruck, er mache sich mit Herzblut
für einen Ausstieg aus der Atomenergie stark.
Man hat die Grünen früher gerne als Ein-Themen-Partei verspottet. Heute muss man sich fragen, ob sie sich dem einen Thema nicht mit mehr Engagement und Mut zum Unbequemen annehmen sollten.
Die Quittung erhielt
die Partei bei den Wahlen im Herbst. Von einem Fukushima-Effekt war
nichts zu sehen, ihr Wähleranteil sank von 9,6 auf 8,4 Prozent, im
Nationalrat verloren sie auch wegen Proporzpech fünf Sitze. Die
Grünliberalen dagegen profitierten und legten deutlich zu.
Regula Rytz, die im
Co-Präsidium mit der Waadtländerin Adèle Thorens die Nachfolge von
Ueli Leuenberger angetreten hat, wehrt sich gegen den Vorwurf, die
Grünen seien nicht grün genug: «Die Umweltpolitik bleibt unser
Kernthema, aber wir machen uns auch für den Schutz der Grundrechte und den sozialen Ausgleich stark.» Beim Sorgenthema Nummer eins aber haben die Grünen ein
ähnliches Problem wie die SP. In der Ausländerpolitik neigen sie
dazu, Probleme kleinzureden oder zu tabuisieren.
Vor sechs Jahren kam
dies besonders deutlich zum Ausdruck, als der Zürcher Nationalrat
und studierte ETH-Umweltwissenschaftler Bastien Girod zusammen mit
seiner St.Galler Kollegin Yvonne Gilli ein brisantes Papier
erarbeitete. Darin zeigten sie die negativen Folgen der starken
Zuwanderung auf die Umwelt in der Schweiz auf: Wohnungsmangel,
Verkehrsengpässe, höhere Lärmbelastung, Verdrängung von sozial
Schwachen in schlechter Wohnlagen.
Die
Reaktionen in der Partei waren heftig. Die Zürcher Stadträtin und
Ex-Parteichefin Ruth Genner erklärte, Girod und Gilli würden sich
mit ihren Thesen «auf ausländerfeindlichem Terrain bewegen». Das
war geradezu harmlos im Vergleich mit einem Schreiben von
Parteipräsident Ueli Leuenberger an den Vorstand, in dem er
festhielt, diese Art von Politik
erinnere ihn an «Nazis und andere Rechtsextreme». Der
Schlag mit der Moralkeule sass, «Mr. Sixpack» Bastien Girod und Yvonne Gilli blieben seither schön brav auf der
Parteilinie.

Mit seinem Zuwanderungspapier setzte sich Bastien Girod in die Nesseln.
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Das Ja zur
SVP-Zuwanderungsinitaitive aber zeigte, dass die «Dissidenten» mit ihren Thesen nicht ganz daneben lagen.
Co-Präsidentin Regula Rytz will nichts davon wissen, dass ihre
Partei die Folgen der Zuwanderung auf die Umwelt tabuisiere: «Wir
verlangen, dass kein Kulturland mehr überbaut wird. Unsere
erfolgreiche Kulturlandinitiative im Kanton Zürich dient als Vorbild
für Bundesrätin Doris Leuthard bei ihrem Kampf gegen die
Zersiedelung.»
Die Wirtschaft müsse
auf mehr einheimische Arbeitskräfte setzen, sagt Rytz und verweist
darauf, dass sie selber sich im Kanton Bern gegen die Einführung des Numerus Clausus beim Medizinstudium eingesetzt habe. Die Schweiz solle mit ihrer Billigsteuerpolitik auch nicht laufend neue Unternehmen samt ihrer Belegschaft anlocken: «Wir sind gegen Standortdumping und eine Aushöhlung der
flankierenden Massnahmen, aber für einen Mindestlohn, wie ihn die
Grünen im Tessin durchgebracht haben.»
Man muss
unweigerlich schmunzeln, denn diese Forderungen entsprechen
weitgehend der Stossrichtung des verfemten Girod/Gilli-Papiers. Der
Glaubwürdigkeit der Grünen nützt dies wenig. Man hat sie früher
gerne als Ein-Themen-Partei verspottet. Heute muss man sich fragen,
ob sie sich dem einen Thema nicht mit mehr Engagement und
Mut zum Unbequemen annehmen sollten. Es könnte sich auszahlen.
Go Vote
#GoVoteCH ist eine Compilation mit 3 x 26 Tracks aus der Schweiz. Und #GoVoteCH will die Wahlbeteiligung erhöhen: Die 78 Artists rufen deshalb für den 18. Oktober 2015 zur Wahl auf. Denn: «Im Bundeshaus wird vieles entschieden, das im Alltag Auswirkungen hat. Wählen ist ein Privileg. Wer kann, soll.» #GoVoteCH ist ein Projekt der Zeitschrift «Helvezin».
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Die palästinensische Terrororganisation Hamas ist in der Schweiz ab dem 15. Mai offiziell verboten. Der Bundesrat setzt das entsprechende neue Bundesgesetz auf diesen Termin hin in Kraft.
Die interne Reaktion auf eine absolut objektive Schlussfolgerung, lässt einem nur erahnen, auf welch irrationalem Terrain die Partei oder zumindest ihre Führung sich momentan bewegt. Schade.
PS: Langsam habe ich das Gefühl, dass SP wie die Grünen (die SVP übrigens auch )bei jedem Thema, wo das Reizwort "Ausländer" auch nur tangiert wird, das Hirn ausschalten und die Keule auspacken. Nicht sehr lösungsorientiert.