
Aufbruchstimmung in der FDP: Philipp Müller (Mitte) mit den Bundesräten Johann Schneider-Ammann und Didier Burkhalter am Wahlfest in Sursee.
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Die FDP positioniert
sich als vernünftige Alternative zur SVP und könnte nach Jahren des
Niedergangs wieder zulegen. Auf der Strecke bleibt der einst
starke linksliberale Flügel.
08.09.2015, 15:1409.09.2015, 12:34
Der Katzenjammer war
gross vor vier Jahren. Bei den nationalen Wahlen 2011 stürzte die
FDP regelrecht ab, von 17,7 auf 15,1 Prozent Wähleranteil. Die
stolze Gründerpartei der modernen Eidgenossenschaft befand sich auf
einem scheinbar unaufhaltsamen Sinkflug. Selbst die zwei Jahre zuvor
erfolgte Fusion mit der Liberalen Partei konnte daran nichts ändern.
Im Kreuzfeuer stand Parteipräsident Fulvio Pelli, gleichermassen Sündenbock
wie Symbolfigur des Niedergangs. Lange musste der Tessiner an jenem
23. Oktober um die Wiederwahl als Nationalrat bangen. Am Ende gelang
sie ihm mit 58 Stimmen Vorsprung hauchdünn, dafür verlor seine
Kantonalpartei einen ihrer drei Sitze.

Fulvio Pelli (rechts) verfolgt am Wahlabend 2011 das schlechte Abschneiden seiner Partei.
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Alt Bundesrätin Elisabeth
Kopp forderte Pellis Kopf, stellvertretend für viele Freisinnige:
«Wenn ich ihn wäre, würde ich jetzt sofort zurücktreten und damit
auch ein Zeichen setzen», sagte Kopp der Zeitung «Südostschweiz».
Pelli ging, allerdings erst im folgenden Jahr. Als Nachfolger wurde
der Aargauer Philipp Müller gewählt – er wollte als einziger auf
dem «Schleudersitz» Platz nehmen. Auch aus dem Nationalrat ist
der Tessiner inzwischen zurückgetreten. Das Urteil über ihn aber
fällt heute weit freundlicher aus als vor vier Jahren. Fulvio Pelli
gilt als Architekt der «erneuerten» FDP, die den Umfragen zufolge
als Siegerin aus den diesjährigen Wahlen hervorgehen könnte.
Was wie ein verzweifelter Versuch wirkte, die FDP vom Wischiwaschi-Image zu befreien, erscheint im Nachhinein als fast schon visionärer Schachzug.
Dabei bezeichneten nach dem Debakel von 2011 nicht wenige die FDP als
Auslaufmodell. Seit 1979, als sie den Spitzenwert von 24 Prozent erreichte, ging es nur bergab. Unter Langzeit-Präsident Franz Steinegger
blieben die Verluste relativ moderat, doch seit der Jahrtausendwende
hatte sich der Abwärtstrend verstärkt, der Freisinn verlor ein Viertel seiner Wählerschaft. Resignation machte sich breit. «Die
FDP hat das Land aufgebaut. Ihr Niedergang entspricht wohl einfach
dem Lauf der Zeit», sagte der Solothurner Ständerat Rolf Büttiker
dem «Tages-Anzeiger».
Der Zeitgeist aber
hat sich gewandelt, zugunsten der FDP. Bei den kantonalen Wahlen im
Frühjahr in Zürich legte sie um vier Prozent zu, für hiesige
Verhältnisse beinahe ein Erdrutschsieg.
Ein Blick auf die
Wählerwanderungen zeigt, dass die FDP in Zürich vom Formtief der
Grünliberalen profitierte. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten –
Stichwort Frankenstärke – orientiert sich die Wählerschaft
vermehrt an sicheren Werten. Und die FDP steht nach wie vor für
wirtschaftliche Kompetenz. Die Freisinnigen haben aber nicht nur bei
anderen Mitteparteien «gewildert». Sie konnte einen – wenn
auch geringen – Zulauf von Seiten der SVP verzeichnen, an die sie in den Jahren davor viele Wählerinnen und Wähler verloren hatte.
Die Grundlage für diese Trendwende legte der viel gescholtene Fulvio Pelli,
indem er die Partei in seinen sieben Jahren an der Spitze konsequent
rechts der Mitte positionierte. Was wie ein verzweifelter Versuch
wirkte, die FDP vom Wischiwaschi-Image zu befreien, erscheint im
Nachhinein als fast schon visionärer Schachzug.

Mit dem Bekenntnis zu den Bilateralen will die FDP zweifelnde SVP-Wähler anlocken.
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Mit der zunehmenden
Radikalisierung der SVP eröffnen sich für die «Verliererpartei» FDP neue Perspektiven im rechtsbürgerlichen Spektrum, sie kann sich
als vernünftige und verlässliche Alternative anbieten. Parteichef
Philipp Müller gab in der «SonntagsZeitung» die Richtung vor, indem
er klare Bedingungen für einen zweiten SVP-Sitz im Bundesrat
formulierte: Die FDP werde keinen Kandidaten unterstützen, der sich
nicht zur Menschenrechtskonvention und zu den
bilateralen Verträgen mit der EU bekenne, sagte Müller sinngemäss.
Was wie eine Kampfansage aussieht, ist in Wirklichkeit ein Lockruf an
die aus der Mitte zur SVP abgewanderten Wähler, die ob der
Masseneinwanderungs- oder der Landesrechts-Initiative ins Grübeln
geraten sind. Kommt zurück, wir stehen zu den Bilateralen und zum Rechtsstaat, lautet die Botschaft von Philipp Müller. Der
Bauunternehmer und gelernte Gipser, der sich mit der
18-Prozent-Initiative einst selber in den rechten Randgebieten
herumtrieb, ist drauf und dran, Christoph Blocher als
instinktsichersten Politiker der Schweiz zu entthronen.
Ein gewisser Hang zur Paranoia mag vor diesem Hintergrund nachvollziehbar sein, mit dem Begriff «Freisinn» ist er kaum kompatibel.
Für den
Wiederaufschwung zahlt die FDP allerdings einen hohen Preis: Sie hat
den einst starken linksliberalen Flügel – für Franz Steinegger
die «Anstandsfraktion» – an den Rand
gedrängt. Sie profitierte dabei vom Umstand, dass profilierte
Vertreter dieser gesellschaftsliberalen Ausrichtung wie der Genfer
Gilles Petitpierre oder der Baselbieter René Rhinow aus der aktiven
Politik ausgeschieden sind.
Wer noch dabei ist,
trägt den rechten Kurs mit, etwa der Zürcher Nationalrat Ruedi
Noser, der nach den Wahlen 2003 mit dem Projekt Avenir radical eine
Öffnung nach links geprobt hatte, bis ihn die Parteibasis
zurückpfiff. Oder stellt sich wie die Berner Nationalrätin und EU-Befürworterin Christa Markwalder mit ihrer Lobby-Affäre
selbst ein Bein.
Angetrieben von
Philipp Müller kann die FDP ohne erkennbare innere Gegenwehr nach
rechts marschieren. An den Versammlungen der Partei ist die
Aufbruchstimmung regelrecht spürbar. Dennoch bleibt ein
Nachgeschmack, denn so richtig scheinen die Freisinnigen der neuen Harmonie nicht zu trauen. Oder wie ist es sonst zu erklären,
dass ein Exponent des linken Flügels wie alt Ständerat Rhinow nach
öffentlichen Äusserungen regelmässig von der Parteispitze
kontaktiert wird «mit der unmissverständlichen Aufforderungen,
seine Ideen künftig für sich zu behalten»?

Das Projekt Avenir radical von Nationalrat Ruedi Noser wurde von der Parteibasis gestoppt.
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So steht es im Buch «Der Fall FDP», das in diesem Frühjahr erschienen ist und den
Niedergang der Partei dokumentiert. Ein gewisser Hang zur Paranoia
mag vor diesem Hintergrund nachvollziehbar sein, mit dem Begriff «Freisinn» ist er kaum kompatibel. Ein wenig trauert man der
früheren Vielfalt nach, die zu einer Partei passte, die den
Bundesstaat begründet hat. Vermutlich entspricht sie nicht mehr dem
Lauf der Zeit, wie alt Ständerat Rolf Büttiker konstatierte. In der
heutigen Politik ist nicht Buntheit gefragt, sondern
Schwarz-Weiss-Denken.
Die FDP ist zum
Erfolg zurückgekehrt, aber sie hat einen Teil ihrer Seele verloren.
Wohl tritt sie geschlossener auf. «Der Preis dafür war, dass der
Reichtum der Ideen innerhalb der Partei etwas zurückging. Der Gewinn
ist, dass uns heute niemand mehr als Wischiwaschi-Partei bezeichnet»,
sagte Ex-Parteipräsident Fulvio Pelli dem «Tages-Anzeiger».
Schärfer formulieren es die Autoren von «Der Fall FDP» am
Schluss des Buches: «Die FDP ist nicht mehr die FDP von früher.
Kann es nicht mehr sein. Sie ist heute eine Partei unter vielen. Die
FDP ist: normal geworden.»
Alertswiss hat am Mittwoch gegen 19 Uhr ein Feuer in Zürich Bassersdorf vermeldet. Die App warnt vor starker Rauchentwicklung empfiehlt sich drinnen aufzuhalten sowie das betroffene Gebiet zu meiden.