Elf Wochen lang ging alles gut: Seit Januar lebten Bärenvater Misha, Mutter Masha und die Jungbären 3 und 4 zusammen in einem Gehege im Tierpark Dählhölzli. Bis am Mittwochnachmittag die Idylle gestört wurde: Da wurde Jungbär 3 von seinem eigenen Vater beim Spiel getötet. Danach trug Mutter Masha den Kadaver in den Stall. Kurze Zeit später spielten die Eltern wieder miteinander.
«Misha und Masha sind unzertrennlich. Bei Versuchen, sie voneinander zu lösen, zeigten beide sofort Verhaltensstörungen», sagt Bernd Schildger, Direktor vom Tierpark Dählhölzli in Bern. «Für das Wohl der beiden war es wichtig, sie zusammen leben zu lassen.»
Tatsache ist: Für Bären ist das Zusammenleben einer ganzen Familie ungewöhnlich. In der Natur trennen sich die Väter von den Müttern und ihren Kindern, um sich eigene Territorien mit genug Nahrungsressourcen zu suchen.
Misha und Masha sind aber nicht «normale» Bären. Sie wurden von Menschen aufgezogen und kamen 2009 als Geschenk des damaligen russischen Präsidentenpaars Dmitrij und Swetlana Medwedew nach Bern. Im Gegenzug nahm der Tierpark in Kauf, dass Misha den beiden Jungtieren gefährlich werden könnte. Und das ist nun auch passiert.
Nun versuche man, sobald wie möglich das Gehege zu betreten, ohne die anderen Bären zu irritieren. «Es könnte gut sein, dass Bär 3 gefressen wurde und wir nicht mehr viel von ihm finden», sagt Schildger.
Was sich für Menschen brutal anhöre, sei für Bären ein ganz natürliches Verhalten, ergänzt Schildger. «Man wird den Bären nicht gerecht, wenn man menschliches Verhalten auf sie überträgt.» Das Fleisch von Bär 3 sei zudem eine natürliche Nahrungsquelle, die sich Misha wahrscheinlich erschliesse.
Nicht nur bei Bären, sondern auch bei Löwen, Schimpansen und Nagetieren kommen Tötungen von Jungtieren, sogenannte Infantizide, vor. Die Männchen töten Nachkommen von anderen, damit die Weibchen möglichst schnell wieder begattungsfähig werden und sie sich fortpflanzen können.
«Das ist keine Frage der Moral, die Tiere wollen ihre eigene Fortpflanzung optimieren», sagt Robert Zingg vom Zoo Zürich. Auch Weibchen können zu Mörderinnen werden, wenn das Futter für die Familie knapp wird. Zingg glaubt jedoch nicht, dass Misha sein Junges absichtlich getötet hat: «Hätte er das gewollt, wäre es schon längst passiert», sagt er.
Wie gross die Gefahr nun für das verbleibende Junge ist, ist schwer abzuschätzen. Klar ist: Masha, Misha und Bär 4 werden weiter zusammenleben. «Wir wollen, dass der Jungbär von seinesgleichen und nicht von Menschen aufgezogen wird», sagt Schildger. Dadurch soll er möglichst natürliche Verhaltensweisen lernen.