Von St. Gallen via Luzern nach Vaduz. Diese Routenplanung ist absolut in Ordnung – wenn es sich um den Wochenendausflug einer rüstigen Rentnertruppe handelt. Ist es hingegen die Laufbahnplanung eines Profi-Fussballers, dann ging da wohl etwas tüchtig in die Hose.
Darum überrascht die Lockerheit von Philipp Muntwiler im Januar 2014. Dem 26-jährigen Mittelfeld-Abräumer ist exakt dieses Szenario widerfahren. Trotzdem ist er kurz vor dem Rückrundenstart mit dem FC Vaduz absolut tiefenentspannt: «Ich habe einen Schritt zurück gemacht, um wieder zwei nach vorne zu machen.»
Eine derart abgeklärte Antwort hätte man nicht unbedingt erwartet. Nicht von einem, der auf dem Platz im Dienst der Mannschaft als harter Zweikämpfer und Hitzkopf gefürchtet wird und nach der Hälfte seiner Karriere schon fast 100 Gelbe Karten gesammelt hat. Nicht nach dieser Geschichte. Nicht nach dem Abflug in die Niederungen der Challenge League.
Im Sommer 2012 war der Bazenheider ausgezogen, um die weite Fussballwelt ausserhalb seines Heimatkantons zu erobern. Das wohlige Nest beim FC St. Gallen war ihm nach zwei Aufstiegen zu eng geworden. «Ich wollte etwas anderes sehen und neue Erfahrungen machen.»
Bereits fünf Jahre zuvor hatte Muntwiler einmal die Schweizer Meisterschaft im Alleingang entschieden. Allerdings indirekt und eher unfreiwillig. Am 1. April 2007 wurde er als Jungspund beim torlosen Remis des FC St. Gallen gegen den FCZ eingewechselt, obwohl er tags zuvor im Nachwuchs eine Rote Karte gesehen hatte. Die Ostschweizer hatten sich falsch informiert. Der FCZ gewann das Spiel am grünen Tisch und sicherte sich nur dank den zwei zusätzlichen Punkten aus dem «Fall Muntwiler» den Meistertitel vor dem FC Basel.
Doch das ist Geschichte. Jetzt, als gestandener Spieler, der sich in St. Gallen bewiesen hatte, lockte ihn die Abenteuerlust zu Trainer Murat Yakin nach Luzern. Der wurde zwar wenige Wochen nach Muntwilers Verpflichtung entlassen, aber der Ostschweizer avancierte auch unter Nachfolger Ryszard Komornicki sofort zum Stammspieler. In seiner ersten Saison beim FCL kam er zu 31 Super-League-Einsätzen, kassierte die obligatorischen 13 Gelben Karten und erzielte zwei Tore.
Aber auch Komornicki konnte sich in Luzern nicht lange halten und auf den unterkühlten Polen folgte der argentinische Vulkan Carlos Bernegger. Dummerweise hatte der neue Chef das Heu mit Philipp Muntwiler absolut nicht auf der gleichen Bühne.
Beim Auftaktspiel der Saison 2013/14 liess er ihn gegen Aarau noch 65 Minuten ran. Danach nie wieder. Woche für Woche sass Muntwiler auf der Bank und beobachtete von dort den Start des Höhenflugs, welcher seine Teamkollegen am Ende der Hinrunde auf Platz 2 landen liess.
Muntwilers Stimme wird brüchig, wenn er sich an diese Zeit erinnert. «Das war schon sehr bitter für mich. Ich war zum ersten Mal in meiner Karriere an einem solchen Punkt, an dem es nicht mehr weiter ging. Man fängt an zu zweifeln, fragt sich, ob man etwas falsch gemacht hat. Die Grübelei zieht einen immer weiter runter, wenn man sich nicht zwingt, damit aufzuhören.»
Und genau das hat Philipp Muntwiler getan. Via SMS hielt er Kontakt mit Giorgio Contini, Murat Yakins ehemaligem Assistenten bei Luzern. Der war mittlerweile Chefcoach beim FC Vaduz und bot dem Ostschweizer einen Ausweg aus der Misere. Muntwiler erinnert sich: «Ich habe die Initiative ergriffen und die FCL-Führung gebeten, mich nach Vaduz in die Challenge League auszuleihen. Ich war mir nicht zu schade für diesen Schritt, weil ich von ganzem Herzen Fussballer bin. Ich muss spielen, um glücklich zu sein.»
Nach dem leihweisen Engagement während der Hinrunde hat der FC Vaduz Muntwiler im Winter definitiv übernommen und mit einem Vertrag bis 2016 ausgestattet. Der Neuzugang hat sich beim Leader der Challenge League zur unverzichtbaren Schnittstelle im Mittelfeld entwickelt. Auch die notorische Sammelei von Gelben Karten hat sich zumindest temporär gebessert. In elf Spielen für die Liechtensteiner waren es bisher deren drei.
Muntwiler erklärt die Statistik: «Ich bin immer noch kompromisslos, aber insgesamt bin ich ruhiger geworden. Manchmal haut es mir noch die Sicherungen raus, aber das ist mittlerweile selten. Es liegt auch daran, dass das Umfeld in Vaduz im Vergleich mit meinen früheren Stationen nicht so viel Druck aufsetzt.» Er fühlt sich wohl und lobt auch Staff und Infrastruktur: «Es ist alles eine Nummer kleiner, aber von der Qualität her müssen wir uns vor den grossen Klubs nicht verstecken.»
Die Vaduzer gehen am Montag mit vier Punkten Vorsprung auf den ersten Verfolger Servette ins Rückrundenrennen. Trotzdem weigert sich Muntwiler partout, Aufstiegsambitionen zu äussern: «Ich will zurück in die Super League. Aber wir müssen vorsichtig sein mit den Zielen. Die bisherige Saison war super, aber es kann alles ganz schnell abwärts gehen, wenn wir nachlässig werden.» So redet einer, der einen Schritt zurück machen musste, um zwei vorwärts zu kommen.