
Über der Schweiz braut sich etwas zusammen.
Bild: KEYSTONE
Auf die «Insel der
Seligen» namens Schweiz kommen unruhige Zeiten zu. Dagegen helfen
weder rechte Schwarzmaler noch linke Schönfärber. Ein Plädoyer für
die konstruktive Mitte.
11.10.2015, 09:4612.10.2015, 10:29
Der Gaga-Wahlkampf
2015 nähert sich seinem Ende. In Erinnerung bleiben sauglatte
Videos, mehr oder weniger gelungene Ratings und Rankings, end- und
nutzlose Spekulationen über den Bundesratssitz von Eveline
Widmer-Schlumpf und Umfragen, die einen Rechtsrutsch vorhersagen. Und
sonst? Eigentlich nichts. «Eine Debatte über wirklich wichtige
Themen findet nicht statt», habe ich vor zwei Monaten geschrieben.
An diesem Befund hat sich bis zuletzt nichts geändert.
Klagen über
inhaltsleere Wahlkämpfe sind nicht neu. Selten aber waren sie so
berechtigt. Selbst die Flüchtlingskrise, die ausserhalb
unserer Grenzen für prekäre Zustände sorgt, gab zuletzt kaum noch zu reden. Kein Wunder: Wenn man den Nicht-Wahlkampf auf
zwei Begriffe herunterbrechen will, dann lauten sie «Richtungswahl» und «Mobilisierung». Um den «Rechtsrutsch» im Parlament
herbeizuführen oder zu verhindern, haben die Parteien ihre
Bemühungen darauf konzentriert, den eigenen Anhang zur
Stimmabgabe zu bewegen.
Viele betrachten die Schweiz als Insel der Seligen in einem stürmischen Meer. Diese Stürme aber könnten in den nächsten Jahren auch über uns hereinbrechen.
Wer die Bekehrten
bekehren will, der muss keine Debatten führen. Das ist
symptomatisch. «Vielleicht geht es uns einfach zu gut, um uns auf
die wirklich wichtigen Themen zu konzentrieren», lautete mein
Befund im August. Grosse Reformvorhaben wie die Energiewende oder die
Altersvorsorge 2020 sind im Vergleich mit den Problemen anderer
Länder der reinste Luxus.
Viele betrachten die Schweiz als Insel der Seligen in einem stürmischen
Meer. Diese Stürme aber könnten in den nächsten Jahren auch über
uns hereinbrechen. Und es macht nicht den Anschein, als wären wir vorbereitet. Grosse Herausforderungen und heftige
Auseinandersetzungen zeichnen sich in mindestens drei Bereichen ab:
Flüchtlinge
Die Zahl der
Asylsuchenden nimmt auch in der Schweiz zu. Von Zuständen wie in
Deutschland oder Österreich aber sind wir weit entfernt. Woran liegt
das? An den strengen Gesetzen? Der geografischen Lage? Der
relativ kleinen Zahl von Syrern und Irakern, die hier leben?
Vermutlich spielen alle drei Gründe eine Rolle. Das muss aber nicht
so bleiben.

In Buchs (SG) sind bislang wenige Flüchtlinge eingetroffen.
Bild: KEYSTONE
Wenn die
Flüchtlingswelle nicht abebbt, könnte sie in absehbarer Zeit unsere
Grenzen erreichen. Oder die reiche Schweiz wird von den stark
betroffenen Ländern gezwungen, einen Teil der Last zu übernehmen.
Das Geschrei der Rechten wird immens sein, doch wir können das Land
nicht einfach abriegeln. Oder wollen wir wie Ungarn einen Zaun aus
Nato-Stacheldraht entlang der Grenze aufziehen? Eine in mehrfacher
Hinsicht absurde Vorstellung.
Europa
In absehbarer Zeit
muss die Schweiz ihr Verhältnis zur Europäischen Union regeln. Das
betrifft die Personenfreizügigkeit, die nach dem Ja zur
Masseneinwanderungs-Initiative auf dem Prüfstand steht, vor allem
aber das von der EU geforderte institutionelle Rahmenabkommen.
Christoph Blocher will es um jeden Preis verhindern, er hat dazu das
Komitee «Nein zum schleichenden EU-Beitritt» gegründet. Es dürfte
der härteste Abstimmungskampf werden seit dem EWR 1992.
Frankenstärke
Die Schweizer
Wirtschaft hat die Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die
Nationalbank bislang gut verdaut. Der Frankenkurs hat sich zuletzt abgeschwächt. Für Entwarnung aber besteht kein Grund. Das
Problem lautet Margendruck. Er trifft sowohl den Tourismus wie die
Exporteure und hier besonders die KMU. Viele kommen knapp zurecht, auch dank Gratisarbeit ihrer Belegschaft, aber sie verdienen
nicht genug, um investieren zu können.

Der Industriestandort Schweiz ist unter Druck.
Bild: KEYSTONE
Wenn selbst Nick
Hayek, der Chef des kerngesunden Swatch-Konzerns, bei jeder
Gelegenheit über die Nationalbank-Spitze lästert, muss etwas faul
sein. Falls der Frankenkurs nicht weiter nachgibt, dürfte es
vermehrt zu Stellenabbau und Verlagerungen ins Ausland kommen. Dieser
Prozess könnte schleichend verlaufen, sich aber auch beschleunigen,
wenn die Weltwirtschaft erneut in eine schwere Krise stürzt und der
Franken zur bevorzugten Fluchtwährung wird.
Kann sein, dass die
Schweiz vom Schlimmsten verschont bleibt. Darauf wetten sollte man
nicht.
Welche Parteien aber
wären für diese Stürme am besten gerüstet? Sicher nicht die SVP.
Sie hat mit dem Referendum gegen das neue Asylgesetz ihre
Unwählbarkeit eindrücklich unter Beweis gestellt. Langsam müsste
es selbst Hardcore-Fans dämmern, dass diese Partei Probleme nicht
lösen, sondern bewirtschaften will. NZZ-Inlandchef René Zeller
kommt zu einem vernichtenden Fazit: «Im Rückblick auf die
ablaufende Legislaturperiode lässt sich kaum ein Problemfeld finden,
bei dem die SVP Teil der Lösung gewesen wäre.
Kompromissbereitschaft? Fehlanzeige.»
Wir brauchen die graue Mitte. Sie ist das Fundament jeder Demokratie. Besteht diese nur noch aus Extremen, kracht sie irgendwann zusammen.
SP und Grüne
unterstützen das Asylgesetz, was nicht selbstverständlich ist. Vor
allem letztere haben einen Hang zur Multikulti-Romantik, Probleme in
der Asyl- und Ausländerpolitik werden am liebsten verdrängt oder
kleingeredet. Rückblickend war es im Zweifelsfall fast immer die
Linke, die im Parlament für einen Kompromiss zu haben war. Dennoch
fällt es schwer, eine dieser Parteien mit ihrem Hang zu
Umverteilungsfantasien und Bessermenschengehabe zu wählen.
Grosse Probleme kann
man nur mit einer pragmatischen Politik bewältigen. Und da landet
man an jenem Ort, der so gar keinen Glamour austrahlt, der ziemlich
unsexy ist: In der politischen Mitte.
Mein persönliches
Highlight im Wahlkampf war ein Gespräch mit BDP-Präsident Martin
Landolt auf dem «Raucherbalkon» vor der Wandelhalle des
Bundeshauses. «Die Forderung nach mehr Profilierung geht uns gegen
den Strich, sie zwingt zur Banalisierung», sagte Landolt. Ich war
verblüfft. Landolts Aussage passt so gar nicht in unsere
Social-Media-Welt, in der man mit schrillen Tönen mehr Beachtung
erlangt als mit differenzierten Gedanken.

Die «graue» Mitte: CVP-Präsident Christophe Darbellay und BDP-Chef Martin Landolt.
Bild: KEYSTONE
Mit seinen
Prinzipien nimmt es der Glarner nicht immer so genau, etwa wenn er
der SVP braune Tendenzen unterstellt. Dennoch imponiert sein
Bekenntnis zu einer Politik, die sich «auf Gedeih und Verderben» der Suche nach Lösungen verpflichtet fühlt. Mehr jedenfalls als die
Kritik des Bündner CVP-Ständerats Stefan Engler, seiner Partei
fehle «der Mut zur Niederlage». Die CVP müsse nicht ihre Siege
besser verkaufen, «sondern in Kauf nehmen, weniger zu gewinnen»,
forderte Engler in einem Interview mit «Aargauer Zeitung» und «Südostschweiz».
Eine solche
Entwicklung wäre verheerend, die Schweiz würde unregierbar. Wichtig
ist deshalb, dass bei diesen Wahlen die konstruktiven Kräfte
gestärkt werden. Man findet sie in allen Parteien, ein paar wenige
sogar in der SVP. Wir brauchen keinen Rechtsrutsch und keinen
Linksdrall, weder rechte Schwarzmaler noch linke Schönfärber. Wir
brauchen die graue Mitte. Sie ist das Fundament jeder Demokratie.
Besteht diese nur noch aus Extremen, kracht sie irgendwann zusammen.
Daran sollte denken,
wer sein Couvert noch nicht eingeworfen hat und dazu tendiert, seinen
Angstreflexen zu folgen. Oder dem Wunsch nach ideologischer
Reinheit. Angesichts der Stürme, die sich am Horizont abzeichnen,
braucht die Schweiz Politiker und Parteien, die sich der Lösung von
Problemen verpflichtet fühlen. Nicht ihrer Bewirtschaftung oder
Verdrängung.
Die UBS hat kein glanzvolles, aber immerhin ein solides Quartal hinter sich. Doch die Aussichten in der Finanzbranche sind trüb - zu trüb, als dass die UBS allen Ansprüchen gerecht werden kann: Die Schweiz will mehr Eigenkapital und Sicherheit, die Aktionäre mehr Dividende.
Die UBS hat im ersten Quartal des laufenden Jahres knapp 1,7 Milliarden Dollar verdient. Das ist nicht schlecht, aber weniger gut als im gleichen Zeitabschnitt des Vorjahres. Weniger günstig als 2024 präsentieren sich heuer aber auch die wirtschaftlichen Aussichten für die weltweite Finanzindustrie. So verschärft sich das Dilemma der UBS: Die Schweiz will mehr Eigenkapital und eine sicherere Grossbank, die Aktionäre erwarten aber den Reibach aus der Jahrhundertübernahme Credit Suisse. Dass jemand unter den gegenwärtigen Bedingungen zurückstecken muss, pfeifen die Spatzen schon seit einigen Monaten von den Dächern.
die mitte rechts parteien verteilen seit Jahrzehnten erfolgreich um. von arm nach reich nämlich.