Bei uns spricht man vom Sommerloch. Oder von der Sauregurkenzeit. Gemeint ist die sommerliche Ferienperiode, in der die grosse Politik Pause macht und der Nachrichtenfluss zum Rinnsal wird. Dadurch entsteht Raum für Meldungen aus der Welt des Kuriosen und Schrägen. Im Prä-Internet-Zeitalter war dieses Phänomen ausgeprägter, tendenziell aber gilt es noch heute. Im englischen Sprachraum gibt es für diese Zeit einen schönen Begriff: Silly Season.
Im Schweizer Wahlkampf 2015 herrscht ebenfalls Silly Season. Und es ist zu befürchten, dass sie bis zur Parlamentswahl am 18. Oktober – und darüber hinaus bis zur Gesamterneuerungswahl des Bundesrats am 9. Dezember – andauern wird. Die SVP dominiert die Schlagzeilen mit ihrem Lieblingsthema Asylpolitik. Und auch über den Bundesratssitz von Eveline Widmer-Schlumpf wird heftig spekuliert. Zu anderen Themen, die für die Zukunft des Landes weit wichtiger wären (Europa, Frankenstärke, Sozialwerke), wollen oder können die Parteien keine Debatte lancieren.
Wenn die Substanz fehlt, gedeiht der Blödsinn. Parteien und Kandidaten versuchen, mit Wahlkampf-Stunts der zweifelhaften Sorte in die Medien zu gelangen. Bundesrätin Doris Leuthard, deren serbelnde CVP dringend Publizität benötigt, taucht an jeder Fernseh-Hundsverlochete auf: Letzte Woche im «Donnschtig-Jass», diese Woche in der Sommerserie auf dem «Fressbalken» an der A1.
Im YouTube-Zeitalter besonders beliebt sind Videos. Das kann daneben gehen, wie im Fall der Berner SVP-Nationalrätin Nadja Pieren. Oder ins Ohr, wenn auch auf schmerzhafte Weise. Siehe den Wahlkampf-Song des Aargauer GLP-Nationalrats Beat Flach (der Name ist Programm).
Und was ist in Grünen-Nationalrat Bastien Girod gefahren, dass er für seine Ständeratskandidatur eine «Wahlempfehlung» von Christoph Blocher alias Walter Andreas Müller produzieren liess? Abgesehen davon, dass das Video höchst unlustig ist (WAM hat den Blocher schon weit besser dargeboten), ist seine Kandidatur angesichts der gewichtigen Konkurrenz im Kanton Zürich völlig chancenlos. Aber mit Showpolitik hat Bastien «Sixpack» Girod noch nie Mühe bekundet.
Message an die Grünen: Wie wäre es mit einigen coolen Aktionen zum Klimawandel? Der Hitzesommer böte die ideale Steilvorlage. Die Jungen Grünen des Kantons Luzern etwa aber beackern lieber das Thema Asyl, indem sie CVP-Regierungsrat Guido Graf ein Flugticket nach Eritrea schenken wollen. Und lassen sich damit auf jenen Trampelpfad führen, den die SVP mit ihrem anhaltenden Gerede vom Asylchaos gebahnt hat.
Wozu braucht die SVP da ihren Willy-Song? Alles tanzt nach ihrer Pfeife. Wenn sie Roger Köppel oder Magdalena Martullo-Blocher als Nationalratskandidaten lanciert, kommen die Medien angerannt. Wenn sie wie diese Woche eine Medienkonferenz zur Asylpolitik durchführt, ist der Saal voll, obwohl die SVP-Exponenten nur ihren üblichen Sermon herunterleierten.
Den Vogel abgeschossen aber hat Parteipräsident Toni Brunner, als er in der «SonntagsZeitung» den Berner Nationalrat Adrian Amstutz als «Asylminister» lancierte. Zwar wies die Zeitung durchaus auf jene zwei Punkte hin, die Amstutz unwählbar machen: Er polarisiert zu stark, und drei Berner im Bundesrat sind definitiv des Guten zu viel. Dennoch sprangen andere Medien bereitwillig auf den Zug auf. Der «Tages-Anzeiger» entblödete sich nicht, zu dieser Pseudo-Kandidatur einen «Experten» zu befragen. Dass Amstutz an der besagten Asyl-Medienkonferenz zu einer Medienschelte ansetzte, war der Gipfel des Gaga-Wahlkampfs.
Die Sommerferien mögen zu Ende sein, die politische Silly Season geht weiter.
Vor vier Jahren sah es so aus, als ob die SVP mit ihren Spielchen nicht mehr durch käme. Medien und andere Parteien liessen sie vor den letzten nationalen Wahlen konsequent ins Leere laufen. Damals aber hatten ihre Kernthemen Europa und Ausländer/Asyl gerade nicht Hochkonjunktur. Der Unmut über die starke Zuwanderung war erst in Ansätzen erkennbar. Prompt musste die SVP nach Jahren des scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs eine Niederlage hinnehmen.
Nun sind wir wieder zurück im alten Fahrwasser. Vielleicht geht es uns einfach zu gut, um uns auf die wirklich wichtigen Themen zu konzentrieren. Und vielleicht gilt die bekannte Redensart, wonach jedes Land den Wahlkampf bekommt, den es verdient. Und dennoch bleibt das ungute Gefühl zurück, dass alle es besser machen könnten – auch und gerade wir von den Medien.