Der Ölpreis fällt und fällt. Derzeit liegt er deutlich unter 50 Dollar pro Fass, und täglich werden neue Negativrekorde gemeldet, und so schnell wird sich das auch nicht ändern. Pessimisten unter den Experten gehen davon aus, dass ein Preis von 30 Dollar pro Fass durchaus möglich ist. Die meisten von ihnen sind sich einig, dass im laufenden Jahr der Preis sich bei rund 45 Dollar einpendeln dürfte.
Auch langfristig wird Öl wahrscheinlich billig bleiben. Nach dem Kollaps Mitte der 1980er Jahre dauerte es beinahe zwei Jahrzehnte lang, bis sich der Preis wieder erholt hatte.
Billiges Benzin bringt die alten Reflexe zurück. Die aktuelle Detroit Motor Show, die wichtigste Automesse der Welt, steht unter dem Motto: «Back to the future». Im Mittelpunkt stehen Autos, die man eigentlich schon abgeschrieben hatte: Die Ford F-Series, der Monster-SUV, ist noch grösser geworden. Zudem wurde der Pick-up mit einem noch stärkeren Motor ausgerüstet.
Mit dem Ford GT kehrt der US-Hersteller zum Geschwindigkeitswahn der 1960er Jahre zurück. Der Sportwagen verfügt über 600 PS. Da mag die Konkurrenz nicht zurückstehen. Hondas neueste Version des NSX-Sportwagens hat ebenfalls 550 PS unter der Haube. Die Neuauflage des Dodge Challenger – «Hellcat» genannt – hat gar einen Motor mit 700 PS. Auch der Cadillac CTS von General Motors wird eine Spitzengeschwindigkeit von deutlich über 300 Stundenkilometer haben. Audi stellt seinen grössten Wagen, den Q7, ins Rampenlicht, Mercedes das monströse GLE-Coupé.
Bei GM bedauert man inzwischen, dass man den schlimmsten Benzinschlucker, den legendären Hummer, nach China verkauft hat. Doch immerhin erinnert man sich vage daran, dass Öl einst teuer und der Klimawandel ein Thema war: Mit dem Chevy Bolt präsentiert GM ein massentaugliches E-Auto, das mit einer Ladung über 300 Kilometer weit fahren kann und mit 30'000 Dollar auch für den Mittelstand erschwinglich ist. Zyniker behaupten allerdings, der Chevy Bolt sei bloss PR und nicht wirklich ernst gemeint.
Nicht nur die Autoindustrie fällt auf alte Gewohnheiten zurück: Die Flugzeughersteller Boeing und Airbus befürchten, dass die Airlines massenweise die Bestellung von neuen Jets stornieren werden. Dank billigem Kerosin ist die Versuchung gross, auf neue Versionen des B737 oder des A320 zu verzichten und mit den alten Maschinen weiter zu fliegen, obwohl diese rund 20 Prozent mehr Sprit verbrauchen. In der von grossen Überkapazitäten geplagten Airline-Industrie zählt jeder Rappen.
Noch vor wenigen Jahren wurde weltweit befürchtet, dass Erdöl bald zur Neige geht und über einen Erdölpreis von 200 Dollar pro Fass und mehr spekuliert. Das scheint geradezu gespenstisch: Heute ertrinkt die Welt im billigen Öl. Obwohl das umstrittene Fracking deutlich mehr kostet als die traditionelle Ölförderung, wird im laufenden Jahr selbst in den USA mehr Öl aus dem Boden geholt werden als letztes Jahr. Die traditionellen Ölstaaten – allen vor Saudi-Arabien – haben klar gemacht, dass sie auch bei weiter sinkenden Preisen die Produktion nicht zurückfahren werden. Zu gross ist die Angst vor dem Verlust von Marktanteilen.
Der Verlierer dieses Wahnsinns ist die Umwelt. Obwohl inzwischen die Klimaerwärmung nicht nur wissenschaftlich bewiesen, sondern auch in der Realität angekommen ist, scheint der Mensch unfähig zu sein, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Monster-SUVs werden zum grössten Teil zum Einkauf im Shoppingcenter um die Ecke benützt, die 700-PS-Sportwagen stehen fast ausschliesslich im Stau der Vorstadt-Strassen, und in den Billigflügen jetten hirnlose Menschen übers Wochenende nach New York für einen Shopping-Trip. Es ist zum Heulen.