
Sag das doch deinen Freunden!
Kevin Spacey spricht am WEF. Nicht über die Welt, ihre Kriege und Krisen, sondern über sich selbst. Beziehungsweise «about his acclaimed performance in the series», wie das WEF auf seiner Homepage mitteilt. Derart berühmt sind die «performance» und die «series», dass da weder der Name von Spaceys Rolle noch derjenige der Serie stehen müssen.
Es wissen ja sowieso alle, dass es sich um Francis Underwood in «House of Cards» handelt. Um den bösesten Präsidenten, den die USA jemals hatte. Ganz sicher in der Fiktion. Wahrscheinlich auch in der Realität. Wir fürchten, hassen und lieben Francis Underwood. Wir sind Francis Underwood. Das Gleiche gilt für seine Frau Claire (Robin Wright). Ein Paar von Psychopathen. Gesetzesbrechern. Egomanen. Mördern. Total asozial. Eine Gefahr für die Gesellschaft. Und dabei machen sie die Gesellschaft. Sind ihre Chefs. Wie die Weltwirtschafts-Elite am WEF.
Auch Don Draper aus «Mad Men» war ein Soziopath mit psychopathologischen Zügen: Im Korea-Krieg sah er einen Vorgesetzten sterben und stahl dessen Identität und Privilegien. Und weil er so gut darin war, allen andern seine eigene Lüge zu verkaufen, konnte er auch die Lügen der andern so brillant verkaufen wie kein anderer. Und wurde zum grössten Werber von New York. Seinen Bruder trieb12 er damit in den Selbstmord.
Der Serienkiller Dexter aus «Dexter», die bipolar gestörte CIA-Analystin Carrie Mathison aus «Homeland», der Crystal-Meth-Doktor Walter White aus «Breaking Bad», der Kannibale Hannibal Lecter aus «Hannibal», die Ärzte Gregory House aus «Dr. House» und John Thakery aus «The Knick» sind weitere Beispiele. Ihnen allen ist gemeinsam: Sie sind auf elitäre Art schlau. Sie zitieren Shakespeare. Sie sind Lehrer oder Psychoanalytiker oder gehen – wie der Mafiaboss Tony Soprano – zur Analyse.
Wenn wir uns mit ihnen identifizieren, gehören wir mit zur Elite. Dann bauen wir selbst mit an einem System des Bösen, Hochbegabten, Superintelligenten, Überlegenen. An einem System aber auch, das am Ende nichts Anderes ist als dieses: ein System. Beruhend auf denen, die – auf interessante, attraktive, erotische Art – Gewalt über andere ausüben und damit immer noch höher steigen. Erneut: Wie die Weltwirtschafts-Elite am WEF.
Diktaturen werden so gemacht. Und der Kapitalismus. Finden wir das per se gut? Eher nicht. Finden wir das als Fiktion total toll? Ja. Feiern auch junge Menschen aus der Hausbesetzer-Szene Francis Underwood? Absolut. Ist das ein bisschen pervers? Aber sicher.
Wo wir schon bei unseren ganz alltäglichen Perversionen sind: Woher rührt eigentlich unsere schrankenlose Liebe zu allerlei Kommissaren und anderen Polizeibeamten? Mögen wir die im Alltag auch so sehr? Sagen wir uns: «Heute mal wieder mit einem Bullen in einer Bar abhängen, das wärs jetzt!» Wohl die wenigsten.
Aber hängen wir nicht stunden-, ja tagelang mit Saga Norén («The Bridge»), Sarah Lund («The Killing»), Sherlock Holmes, «True Detective» und den diversen «Tatort»-Teams ab? Und je verrückter, desto lieber? Je Asperger, desto gerner? Je sozial unverträglicher, desto näher an unserem Herzen? Und sind sie nicht recht eigentlich bloss die ernsthafte Kehrseite von lustigen Soziopathen wie dem Nerdgenie Sheldon Cooper in «The Big Bang Theory» und Barney Stinson in «How I Met Your Mother»?
Sie alle sind uns im Grunde fremd. Francis Underwood, Saga Norén und Sheldon Cooper. Und doch gibt es einen gemeinsamen Kern, in dem wir uns alle finden können.
«Why We Love Sociopaths – a guide to late capitalist television» hiess vor ein paar Jahren ein serienwissenschaftliches Buch von Adam Kotsko. Nun hinkt er zwar mit seinen Analysen von «24» und «The Wire» der aktuellen Serienproduktion um gefühlte hundert Jahre hinterher, aber seine Analyse des Soziopathen (von dem der Psychopath nur eine verschärfte Untergruppe ist) ist noch immer gültig: Im Kern der diversen Irren steckt ein Kind.
Kein liebes, süsses, sondern ein Einzelgängerkind. Ein verspieltes, triebhaftes, asoziales, selbstsüchtiges, berechnendes, verantwortungsloses Kind. Aber keineswegs ein regelloses. Sondern eines, das sich seine Regeln sehr wohl selbst zu definieren weiss. Denn nichts ist in sich so vollständig, so sehr das Königreich seines Machers und zugleich so realitätsfremd wie das fantastische, narrative System eines Kindes. Da gibt es kein falsch, nur richtig. Da wird der Makel zum Vorteil. Da gibt es die Reinstform von Herrschaft und Tyrannei. Diktaturen werden so gemacht ...
Wir treffen da auf Pippi Langstrumpf – die fiktionale Grundlage von so vielen Kindheiten – in der Gestalt von Sheldon Cooper. Oder auf einen Damien aus «The Omen» im Körper eines Hannibal Lecter. Und in ihnen auf uns selbst. Auf diese verfluchte Archaik unseres Begehrens und unserer Gier. Die am Ende in ihrer eigenmächtigen Sturheit nur stützen, was sie doch stürzen wollten.
Die 4. Staffel von «House of Cards» gibts am 4. März auf Netflix.