Der «Klimarealismus» wird an der Realität scheitern
Ein neuer Begriff macht die Runde: Klimarealismus. Er wird in diversen Medien verwendet, teilweise nicht ohne Häme an die Adresse der Klimabewegung. Deren Alarmismus habe sich totgelaufen, nun brauche es «eine pragmatische Klimapolitik». Rückenwind erhalten solche Stimmen durch einen Beitrag auf der Website von Microsoft-Gründer Bill Gates.
Der Milliardär und Philanthrop war noch vor wenigen Jahren ein eindringlicher Warner vor den Folgen des Klimawandels. Das Problem sei ernst, doch die Menschheit habe «grosse Fortschritte gemacht», schreibt Gates heute. Er setzt auf Technologien und will die Resilienz der Menschen durch Investitionen in Gesundheit und Entwicklung stärken.
Es fragt sich nur, ob dieser Realismus mit der Realität schritthalten kann. Der am Dienstag vorgestellte Bericht «Klimazukunft Schweiz» lässt daran zweifeln. Nach 2011 und 2018 handelt es sich um die dritte Ausgabe der vom Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz) unter Einbezug von rund 50 Wissenschaftlern und mithilfe von KI erstellten Klimaszenarien.
Schweiz als Hotspot
«Die Folgen des Klimawandels intensivieren und beschleunigen sich», sagte die zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider vor den Medien. Mitteleuropa und die Schweiz sind von der Erwärmung besonders betroffen, unter anderem weil sie über Land stärker erfolgt als über Wasser. Der ETH-Klimaforscher Reto Knutti bezeichnete die Schweiz als Hotspot.
Bei einer mittleren globalen Erwärmung um 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Periode – sie entspricht dem Pariser Klimaziel von 2015, das kaum noch erreichbar ist – würde sich die Schweiz um 2,9 Grad erwärmen. Und das wäre nicht das Ende: «Wir steuern auf eine 3-Grad-Welt zu», sagte Knutti. Die Folgen für die Schweiz wären so oder so gravierend:
- Extremere Hitze
- Trockenere Sommer
- Mehr und heftigere Starkniederschläge
- Weniger Schnee
Das Problembewusstsein in der Schweizer Bevölkerung aber bleibt überschaubar. Das zeigt eine Umfrage des Instituts Sotomo im Auftrag von Avenergy, der ehemaligen Erdölvereinigung. Demnach unterstützen 61 Prozent der Befragten das Netto-null-Klimaziel des Bundes bis 2050, aber 85 Prozent glauben nicht, dass es erreicht werden wird.
Die Schweizer Lebenslüge
Der Sotomo-Gründer und Politgeograf Michael Hermann sprach laut dem «Tagesanzeiger» von einer «Lebenslüge». Dazu passt, dass zwei Drittel finden, die Bevölkerung müsse sich klimafreundlicher verhalten, aber «nur» 53 Prozent selbst dazu beitragen wollen. Und nur eine Minderheit ist bereit, ein E-Auto zu kaufen oder eine Wärmepumpe zu installieren.
Diese widersprüchliche Einstellung gegenüber der Klimakrise ist ein perfekter Nährboden für die Thesen von Bill Gates. Dabei begeht er mehrere Denkfehler. So möchte er mehr Geld für den Kampf gegen Krankheiten wie Malaria verwenden. Doch was hilft das, wenn sich der heimtückische Erreger wegen der Erwärmung nach Norden ausbreitet?
«Green Premium» eliminieren
Mit dem Fokus auf den technologischen Fortschritt trifft Gates einen wunden Punkt. Eine Verteuerung des CO2-Ausstosses ist unpopulär, selbst mit «marktwirtschaftlichen» Instrumenten wie Emissionshandel und Lenkungsabgaben. Denn die Mehrkosten sind sofort spürbar, der Nutzen in Form von Rückzahlungen aber bleibt relativ abstrakt.
Bill Gates will deshalb technologische Lösungen verbilligen und das eliminieren, was die Fachwelt «Green Premium» nennt, also den grünen Aufschlag gegenüber fossilen Produkten. Beim Elektroauto ist dies über die gesamte Lebensdauer schon heute der Fall, beim nicht besteuerten Flugbenzin aber ist der Weg sehr weit (Synfuels sind rund viermal teurer).
Zwei Herausforderungen
Bill Gates stellt eine Reihe möglicher Lösungen vor, doch dabei stellen sich zwei Probleme: Sie müssen nicht nur unter Laborbedingungen funktionieren, sondern auch im rauen Alltag. Und sie müssen skalierbar sein, also «massentauglich» und bezahlbar. Das einst gehypte ETH-Spin-off Climeworks hat mit beiden Herausforderungen zu kämpfen.
Das Vertrauen auf technologische Durchbrüche – das auch aus der Sotomo-Umfrage hervorgeht – wirkt angesichts des realen Klimawandels blauäugig. Indirekt räumt dies selbst Bill Gates ein, indem er die «Klima-Community» auffordert, jene Dinge zu priorisieren, die «die grössten Auswirkungen auf das menschliche Wohlbefinden haben».
«Nicht das Ende der Zivilisation»
«Der Klimawandel ist ein ernsthaftes Problem, aber nicht das Ende der Zivilisation», postuliert der Microsoft-Gründer an die Adresse der ab nächster Woche im brasilianischen Belém stattfindenden Weltklimakonferenz COP 30. Genau dies wollen jene hören, die genug haben von den Warnungen etwa in den neuen Schweizer Klimaszenarien.
Am Rand der Medienkonferenz vom Dienstag war ein gewisser Frust spürbar. Es tauchten Fragen auf, wie weit der Tech-Milliardär Bill Gates durch Eigeninteressen getrieben sein könnte. Denn KI-Datenzentren, die wie Pilze aus dem Boden spriessen, sind Stromfresser. Deshalb entstehen neue Gaskraftwerke, gerade in den von «Klimaleugner» Donald Trump regierten USA.
Das hat einen Verschwörungs-Touch, doch einiges läuft in der Klimapolitik derzeit in die falsche Richtung. Der Natur aber ist das egal, und deshalb dürfte der neue Klimarealismus über kurz oder lang an der Realität scheitern.
