
Sag das doch deinen Freunden!
Grausam böse grätscht der Sound von Ennio Morricone durch den Tiefschnee von Wyoming. Der Mann ist 87! Und komponiert einfach so diese Hölle voll rasender Teufel für Quentin Tarantino. Ennio Morricone muss ein Naturwunder sein. Eine Kutsche rattert durch diesen Winter. Die Kutschpferde sind schöne Monster. Es ist kurz nach dem Ende des Bürgerkriegs, also kurz nach 1865, die Kutsche will nach Red Rock. Die Kutsche wird zum Schlangennest. Vipern kommen sich näher. Gut ist das nicht.
Da sind die Schwerverbrecherin Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) und ihr Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell): Sie ist ein Maschinengewehr, geladen mit Obszönitäten, er prügelt sie dafür zu Mus, sie bricht nicht. In Red Rock will er sie hängen sehen. Da ist einer, der vorgibt der künftige Sheriff von Red Rock zu sein, man traut ihm keine Sekunde. Und ein Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson, wahrscheinlich der coolste Mensch der Welt), der mit Abraham Lincoln befreundet ist und Briefe von ihm besitzt. Wahr oder falsch? Keine Ahnung. Ihre Geschichten sind allesamt so gut, um wahr zu sein. Oder zu gut.
Ein riesiges Kreuz ragt aus dem Schnee. Schmerzensmänner wird es in diesem Film viele geben. Einer von ihnen wird genauso nackt wie Jesus am Kreuz im Schnee verrecken, nachdem er Major Warren einen Blowjob gegeben hat. Weil sein Vater ein Südstaatler war und für Erhalt der Sklaverei gekämpft hatte. Blutig wird die Dynamik des amerikanischen Bürgerkrieges noch einmal auf das weisse Blatt einer weiss erstickten Landschaft geschrieben.
Aber haben wir das nicht bereits? Männer im Schnee, die mit viel Blutverlust ums Überleben und für ihr Amerika kämpfen? Ja, haben wir: im Oscar-Favoriten «The Revenant». Doch «The Revenant» konzentriert sich radikal auf den fast stummen Realismus der Gewalt, auf eine ganz direkt körperliche Erfahrung von Geschichte. Auf die Wiedergeburt DiCaprios aus dem Leib eines toten Pferdes.
In «The Hateful Eight» werden Identitäten übers Reden geschaffen. Nur, dass hier die Verteilung von supersmartem und hochpoetischem Geschwafel und dem Pomp des Blutes etwas anders ist als sonst bei Tarantino. Sagen wir mal, auf 167 Minuten Film verteilt, tendenziell ungleichgewichtig. Man muss diesen Film etwas aussitzen.
Zuerst in der Kutsche, dann am Lagerfeuer in einem Blockhaus. Und dort sind wir im Theater. Da gibt es das typische Komödienelement der knallenden Tür («That door's a whore!»), da gibt es die Ausweglosigkeit eines einzigen Raums, in dem sich die Leute – inzwischen sind es die berühmten acht – während eines Schneesturms um Leib und Leben reden. Besonders Tim Roth – ja, er ist im Tarantino-Universum wohl der bessere Christoph Waltz –, als britischer Kopfgeldjäger ist ein Hochgenuss.
Und plötzlich merken wir, dass wir eigentlich mitten in einem Stück von Agatha Christie sitzen. Dass Major Warren ein Hercule Poirot ist. Dass Daisy Domergue viel mehr weiss als alle andern. Gift ist im Kaffee. Gift ist in restlos allen Herzen. Und dann .... Und dann ...
Tarantinos «Django Unchained» (2012) spielt im Jahr 1858, «The Hateful Eight» nur wenige Jahre später. Noch nie – seit «Kill Bill» – lagen zwei Tarantino-Filme historisch so dicht beieinander. Dramaturgisch gesehen, ist «The Hateful Eight» im Vergleich zum Vorgänger zwar etwas in die Breite gegangen. Aber auf einer rhetorischen Ebene hat sich Tarantinos Nachdenken über Amerika und all seine -ismen umso mehr verdichtet. Bis zur absoluten Ausweglosigkeit.
«The Hateful Eight»: Ab 28. Januar im Kino.
Der Film ist für 3 Oscars nominiert: Beste Nebendarstellerin, Beste Kamera und Bester Soundtrack.
Tim Roth würde ich allgemein gerne öfters auf der grossen Leinwand sehen, toller Schauspieler.