Alain Birchers Name steht in den Notizbüchern der NHL-Scouts noch nicht ganz oben. Die dominierenden Verteidiger der Schweizer sind Captain Roger Karrer und Jonas Siegenthaler (ZSC Lions). Und doch ist die Geschichte über Alain Bircher (Kloten Flyers) die beste. Er ist der Sohn des gescheiterten Kloten-Präsidenten Jürg Bircher.
Gescheitert? Nun, die «öffentliche Hinrichtung» hat stattgefunden. Jürg Bircher hatte die Kloten Flyers im Frühjahr 2008 übernommen und mit klugen Transfers zu einem Spitzenteam gemacht (Finals 2009 und 2011). Aber dann ging dem Immobilienunternehmer das Geld aus. Er ist deshalb im Sommer 2012 als Ruinierer der Kloten Flyers in die Geschichte eingegangen.
Es gibt allerdings rein hockeytechnisch auch eine andere Sicht der Dinge. Die Kloten Flyers waren unter Jürg Bircher sportlich und wirtschaftlich erfolgreicher als unter dem neuen Besitzer Philippe Gaydoul. Der ehemalige Besitzer und Präsident sagt es nicht ohne eine Spur Sarkasmus so: «Ich habe pro Saison um die zwei Millionen Minus eingefahren – in der abgelaufenen Saison sollen es unter meinem Nachfolger gegen neun Millionen sein …»
Jürg Bircher wirkt zwar nicht mehr ganz so charismatisch und selbstsicher wie einst als Vorsitzender der Kloten Flyers. Die schwierigen Zeiten sind nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Aber er hat die Zuversicht nicht verloren und sagt, er bekomme wieder Boden unter den Füssen. Es gebe auch in schwierigen Zeiten Leute, die zu ihm halten. Nein, in Kloten gehe er nicht mehr ins Stadion. Aber dem Eishockey ist er verbunden geblieben. Am Freitag war er in Zug beim ersten U-18-WM-Spiel der Schweizer vor Ort. Um seinen Sohn spielen zu sehen.
Alain Bircher ist der grösste und kräftigste Verteidiger (190 cm/87 kg) der Schweizer. Sogar einen Zentimeter grösser als Jonas Siegenthaler. Mit der Nomination für diese WM ist er ganz oben auf dem Niveau der weltbesten Nachwuchsspieler angekommen. Er sagt, sein Traum sei Nordamerika. Auch wenn er spielerisch noch nicht dominieren kann und ein bisschen an Timo Helbling mahnt – eine Zukunft in Nordamerika ist durchaus denkbar.
So rau und wild und böse wie Timo Helbling wird er wohl nie werden. Aber er kann eine flinkere, spielerisch bessere Version des legendären Haudegen werden, der es bisher auf über 300 Spiele in Nordamerika, 11 NHL-Partien und über 500 NLA-Spiele gebracht hat und nächste Saison für den SCB rumpeln wird. Alain Bircher ist exakt gleich gross wie Timo Helbling, wird in den nächsten Jahren mehr Muskeln zulegen und einer der kräftigsten Schweizer Verteidiger werden. Mit ein bisschen Glück wird es zu einer schönen Profikarriere reichen.
Wenn es Alain Bircher nicht zu einem NHL-Draft oder einem Engagement in einem nordamerikanischen Junioren-Team reicht, dann wird er die nächsten zwei Jahre in der Schweiz verteidigen und einen Platz im Team der Kloten Flyers anstreben. Notfalls mit einem Umweg über die Elite-Junioren oder das neue NLB-Team Winterthur. Bei den Kloten Flyers hat er einen bis 2017 laufenden Ausbildungsvertrag.
Bisher hat Alain Bircher erst ein einziges Mal in der ersten Mannschaft der Kloten Flyers gespielt. Beim Cup-Halbfinal in Genf (2:1-Sieg). «Es waren wohl acht, neun Einsätze. Es war eine tolle Erfahrung.» Zu mehr hat es noch nicht gereicht. Trainer und Sportchef Sean Simpson war in den 1990er Jahren Meister mit Zugs Elite-Junioren.
Aber es ist höchst ungewiss, ob sich der kanadische Bandengeneral nach dem Scheitern in der letzten Saison nun unter dem maximalen Resultatdruck nächste Saison als Ausbildner und Juniorenförderer profilieren kann. Alain Bircher wird in der Organisation der Kloten Flyers viel Geduld brauchen.
Trotz der „öffentlichen Hinrichtung“ seines Vaters ist er bei den Kloten Flyers geblieben. Er hätte auch weggehen können. SCB-Sportchef Sven Leuenberger war stark an einem Transfer des kräftigen Abwehrspielers interessiert. «Aber er wollte bleiben und das durchstehen. Das rechne ich ihm hoch an» sagt sein Vater. Und der Bub bestätigt: «Ja, es ist so. Ich wollte nicht davonlaufen.»
Alain Bircher sagt, es sei nicht ganz einfach gewesen. «Aber meine Mitspieler und meine Trainer haben immer zu mir gehalten und mich unterstützt. Jetzt ist die Geschichte vorüber und ich bin froh, dass ich in Kloten geblieben bin.» Eine schöne Geschichte über die versöhnende Kraft des Sportes, des Eishockeys.
Bei der 1:3-Auftaktniederlage gegen Finnland spielte Alain Bircher keine Hauptrolle. Er ist in der Verteidiger-Hierarchie des Schweizer Teams die Nummer 7. Die spielerische Musik machten vorerst andere. Der beste Verteidiger war beim WM-Startspiel gegen Finnland allerdings nicht Jonas Siegenthaler, der mit den ZSC Lions soeben das Playoff-Finale bestritten hat.
Müdigkeit, grosser Erwartungsdruck und eine gänzlich andere Rolle sind die Ursachen für seine enttäuschende erste WM-Partie. Es ist eben ein Unterschied, in einem sehr guten NLA-Team ein Sekundant von Titanen wie Severin Blindenbacher oder ein Verteidigungsminister auf dem weltbesten Junioren-Niveau zu sein. Nach einem Rumpelcheck kassierte er in der 51. Minute 12 Strafminuten (Check gegen den Kopf) und fiel für die Aufholjagd aus. Immerhin hat er mit einer positiven Bilanz (+1) die Kabine aufgesucht. Aber das Alphatier der Abwehr war Captain Roger Karrer.
Der Star der Schweizer ist indes Denis Malgin. Er zählt zu den weltweit besten Stürmern ab Jahrgang 1997. Dieses flinke, schlaue, technisch exzellente Kufentier hat in lichten Momenten im Finale schon die meisterliche Abwehr des HC Davos aufgemischt und dominiert nun auch beim Turnier der weltbesten Junioren. Er erzielte das 1:1 und hätte die Partie gegen Finnland (1:3) mit drei oder vier weiteren Treffern entscheiden können.
Dieses erste WM-Spiel war letztlich typisch schweizerisch und zeigte Stärken und Schwächen unserer Hockeykultur. Läuferisch waren die Schweizer den Finnen überlegen, physisch spielten sie auf Augenhöhe – aber es fehlten bis weit ins zweite Drittel hinein Ruhe und Gelassenheit im Spiel und die Effizienz im Offensivspiel.
Die Schweizer scheiterten in gewisser Weise auch am «Heimnachteil». Die Nervosität (hohe Erwartungen, viele Zuschauer) war in diesem ersten Spiel nicht zu übersehen und erst ab Mitte des zweiten Drittels war die Mannschaft von Cheftrainer Manuele Celio im Turnier, im Spiel angekommen. Eine Steigerung darf erwartet werden. Und gegen die physisch starken Kanadier dürfte Alain Bircher heute Abend etwas mehr Eiszeit bekommen (18.45 Uhr in Zug).