Wirtschaft
Digital

WhatsApp-Deal: Der Wahnsinn hat Methode

ErklärBär

WhatsApp-Deal: Der Wahnsinn hat Methode

Facebook, Google, Apple & Co. kaufen alles auf, was sich bewegt und sichern sich so ihre Monopolmacht. So entsteht eine «Gewinner-nehmen-alles»-Wirtschaft. 
22.02.2014, 08:1023.06.2014, 14:57
Mehr «Wirtschaft»

Die WhatsApp-Übernahme durch Facebook ist der bisher spektakulärste Deal in einem Jahr, das alle Rekorde zu sprengen verspricht. Allein in den ersten zwei Monaten 2014 haben Facebook, Google, Apple & Co. für rund 50 Milliarden Dollar eingekauft. Auf den ersten Blick erinnert dies an die verrückte Zeit des Dotcom-Booms der 1990er Jahre. Damals wurden Firmen übernommen, die Tierfutter, Spielzeuge und Flugzeugtickets über das Internet verkauften. 

Rational war das nicht zu begreifen. Die Start-ups hatten ausser riesigen Verlusten und dem Kürzel .com wenig zu bieten. Trotzdem wurden Milliarden hingeblättert. All dies schien verrückt zu sein – und war es auch. Beim Platzen der Dotcom-Blase 2002 gingen die meisten dieser zuvor gehypten Start-ups Pleite. 

Was mit WhatsApp und Facebook abgeht, scheint der gleichen irren Logik zu folgen. Ein Unternehmen, das es knapp zehn Jahre gibt und rund 5000 Mitarbeiter beschäftigt, übernimmt ein Start-up mit rund 50 Mitarbeitern für 19 Milliarden Dollar. Doch der Wahnsinn hat Methode. Dahinter steckt die Logik der neuen digitalen Wirtschaft. Was es mit dieser Logik auf sich hat, beschreiben Eriks Brynjolfsson und Andrew McAfee, zwei Ökonomen am Massachusetts Institute of Technology (MIT), in ihrem soeben erschienen Buch «The Second Machine Age». 

«Die Ökonomie der Massenfertigung wird ausser Kraft gesetzt.»

Der Übergang von der analogen zur digitalen Wirtschaft stellt vieles, das bisher selbstverständlich war, in Frage. In der digitalen Wirtschaft fallen Transport- und Materialkosten weg, und die Skalenökonomie der Massenfertigung wird ausser Kraft gesetzt – es ist nicht mehr nötig, möglichst grosse Massen herzustellen, damit das Produkt billig wird – und es entstehen völlig neue Geschäftsmodelle. Dazu braucht es drei Voraussetzungen: 

  • Immer mehr Güter und Dienstleistungen werden digitalisiert
  • Telekommunikation und teilweise auch Transportdienstleistungen werden immer billiger und effizienter
  • Netzwerke und Standards werden immer wichtiger

Bei Musik, Film und Medien sind diese Bedingungen bereits erfüllt. Die analogen Träger verschwinden, die Inhalte werden gestreamt und auf Laptops, Tablets und Smartphones konsumiert. Wenn die materiellen Kosten verschwinden, dann geschehen merkwürdige Dinge. Albert Einstein soll einmal gesagt haben: «Schwarze Löcher sind entstanden, weil Gott durch Null dividiert und damit die Gesetze der Physik ausser Kraft gesetzt hat.» Etwas Ähnliches passiert in der Wirtschaft, wenn das Gesetz der Grenzkosten nicht mehr gilt. 

Albert Einstein.Bild: AP
«Schwarze Löcher sind entstanden, weil Gott durch Null dividiert und damit die Gesetze der Physik ausser Kraft gesetzt hat.»

Exemplarisch kann man das am Schicksal von Kodak aufzeigen. In der analogen Wirtschaft war Kodak der führende Player im Fotogeschäft. Das – im übrigen vorbildlich sozial geführte Unternehmen – beschäftigte einst weltweit über 140'000 Mitarbeiter und war für das Wohlergehen der Kleinstadt Rochester im Bundesstaat New York verantwortlich. 

Obwohl so viele Fotos geschossen werden wie noch nie, gibt es das Unternehmen nicht mehr. Die Menschen benutzen digitale Kameras, die Bilder werden nicht mehr auf Fotopapier ausgedruckt oder auf Dias gespeichert. Fotografieren kennt keine Grenzkosten mehr und ist damit praktisch gratis geworden. 

Im digitalen Zeitalter ist Kodak ersetzt worden durch Instagram, ein Start-up, das vor ein paar Jahren für eine Milliarde Dollar ebenfalls von Facebook gekauft worden ist. Instagram stellt eine Software zur Verfügung, mit der man im Internet problemlos Bilder tauschen kann. Zum Zeitpunkt, als das Unternehmen von Facebook übernommen wurde, beschäftigte es gerade mal knapp ein Dutzend Mitarbeiter. 

In der analogen Wirtschaft war Kodak der führende Player im Fotogeschäft. Bild: AP
«Der technische Fortschritt, speziell im digitalen Bereich, führt zu einer historisch einmaligen Umverteilung von Vermögen und Einkommen.»

Beim Übergang von analog zu digital ändert sich nicht nur die Technik. Es entsteht eine völlig andere Wirtschaftsordnung. Sie wird «Gewinner-nehmen-alles»-Wirtschaft genannt. Was dies bedeutet, beschreiben Brynjolfsson und McAfee wie folgt: «Es wird mehr Wohlstand mit weniger Arbeit geschaffen. Im derzeit bestehenden Wirtschaftssystem hat dieser Effekt gewaltige Effekte auf die Verteilung von Einkommen und Wohlstand. (...) Der technische Fortschritt, speziell im digitalen Bereich, führt damit zu einer historisch einmaligen Umverteilung von Vermögen und Einkommen.» 

Es sind somit nicht nur Abzocker, Banker-Boni und überrissene Managerlöhne, die dazu führen, dass sich die Einkommensschere immer weiter öffnet. Es sind vor allem die Folgen des technischen Fortschritts im bestehenden Wirtschaftssystem. Nochmals: Kodak hat einst mehr als 140'000 Mitarbeitern anständige Löhne bezahlt und damit geholfen, einen gesunden Mittelstand in Arbeit und Brot zu erhalten. Instagram hat dafür gesorgt, dass es im Silicon Valley ein paar Milliardäre mehr gibt.

«Kodak hat einst mehr als 140'000 Mitarbeitern Arbeit und Brot gegeben. Instagram hat dafür gesorgt, dass es im Silicon Valley ein paar Milliardäre mehr gibt.»

Die neuen IT-Milliardäre setzen alles daran, ihre Stellung zu sichern und kaufen alles, was sich bewegt. Dabei kann es gelegentlich zu Revierkämpfen kommen. Anscheinend war auch Google an einer Übernahme von WhatsApp interessiert, soll aber bloss zehn Milliarden geboten haben. Doch es zeichnet sich ab, dass im Silicon Valley neue Titanen heranwachsen, die den IT-Kuchen unter sich aufteilen werden.

Jaron Lanier, ein Pionier der virtuellen Realitätsszene, spricht in seinem Buch «Wem gehört die Zukunft?» von «Sirenen-Servern», die sich immer mehr zu Monopolisten entwickeln (siehe Interview mit watson). Was verheerend dabei ist: Sobald diese Monopole einmal gesichert sind, wird sich auch der technische Fortschritt verlangsamen, denn ein solcher Fortschritt könnte die Macht der neuen Titanen gefährden. Oder glauben Sie, dass Microsoft je etwas unternehmen wird, das seine de facto Monopolstellung bei den Betriebssystemen in Frage stellen könnte?  

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
11 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
11
«Smart-City»-Ranking: Zürich bleibt die weltweite Nummer 1

Die Stadt Zürich belegt zum fünften Mal in Folge den ersten Platz auf dem «Smart-City»-Index des International Institute for Management Development (IMD). Mit Genf auf Platz fünf und Lausanne auf Platz sieben befinden sich zwei weitere Schweizer Städte in den Top 10.

Zur Story