Die Schweiz hat aktuell gemessen an ihrem Bedarf zu wenige Wohnungen. Das erlebt jeder, der auf dem Markt ein neues Zuhause finden muss. Die Mieten sind gerade in den letzten zwei Jahren deutlich schneller als die Löhne gestiegen – in manchen Quartalen um 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr, zuletzt immer noch um 2 Prozent. Die Antworten auf wichtige Fragen:
Die Schweiz hat das verdichtete Bauen nicht im Griff. 2013 hat sie sich mit der Revision des Raumplanungsgesetzes entschlossen, nicht auf grünen Wiesen, sondern auf bereits genutzten Flächen zu bauen. Aber die Schweiz baut noch immer zu wenig. Immobilienprofessor Christian Hilber von der Universität Zürich sagt: «Ich halte diese Revision für den Ursprung der aktuellen Krise des erschwinglichen Wohnraums.»
Trotz Knappheit und stark steigender Mieten boomt der Wohnungsbau nicht etwa, sondern laut den Ökonomen der Raiffeisenbank «stockt» er und bleibt «ungenügend». Das Ausmass dieser Misere zeige sich, wenn der Neubau an der Bevölkerung gemessen werde. Je mehr Menschen es gibt, desto mehr neue Wohnungen müssten eigentlich jedes Jahr hinzukommen. Doch aktuell wird ein Viertel weniger gebaut als durchschnittlich von 2004 bis 2018.
Laut der Raiffeisenbank nicht. Für 2024 zeigt sich in den eingereichten Baugesuchen eine «spürbare» Zunahme von 7 Prozent im Vergleich zu 2023. Doch 2023 war ein miserables Jahr, eines der schwächsten der letzten zwanzig Jahre. Eine Erholung um 7 Prozent nach einem so schlechten Jahr ist noch immer viel zu wenig für eine Wende hin zum Besseren.
Und was da in den Statistiken an Baugesuchen steht, wird längst nicht alles bewilligt und ist immer öfter ein Ersatzbau, dem erst alte Wohnungen weichen müssen. Deshalb werde nicht genug gebaut, um die Nachfrage zu decken, und schon gar nicht genug, um die «herrschende Knappheit massgeblich zu lindern».
Die ETH Zürich hat im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen die Verdrängung durch Ersatzbauten oder Totalsanierungen untersucht. Dabei hat sie unter anderem ermittelt, was von 2015 bis 2020 in den fünf grössten Städten passiert ist: Wie viele Mieter mussten weichen, die zuvor mindestens drei Jahre dort gelebt hatten?
In Zürich und der Agglomeration waren es 7253 Menschen, was in diesen Jahren 1,02 Prozent der Wohnbevölkerung entsprach. In Basel waren es 3622 Verdrängte (0,66 Prozent), in Bern 1833 (0,43 Prozent), in Lausanne 979 (0,23 Prozent) und schliesslich in Genf noch 467 Personen (0,08 Prozent).
Die Unterschiede sind also gross. In Genf wurden viel weniger Menschen verdrängt als in Zürich – zwölfmal weniger. Auch in Lausanne war die Zahl der Verdrängten deutlich geringer. Und dies nicht etwa, weil in diesen zwei Städten weniger gebaut worden wäre. Im Gegenteil, es entstanden mehr Wohnungen als in der Deutschschweiz.
Bei den Verdrängungen in den fünf Städten zeigt sich in der Regel das gleiche Muster: In Gebäuden, die abgerissen oder totalsaniert werden, wohnen Menschen mit niedrigen Einkommen – durchschnittlich um 30 bis 40 Prozent tiefer als jene der Gesamtbevölkerung. In die neu erstellten oder sanierten Wohnungen ziehen hingegen Menschen mit höheren Einkommen als die Gesamtbevölkerung – um 14 bis 39 Prozent höher.
Unter Menschen mit tiefen Einkommen sind drei Gruppen besonders oft von Verdrängung betroffen: Asylsuchende, anerkannte Flüchtlinge und Personen mit einem afrikanischen Geburtsland. Dies zeigt laut Studie, dass die Verdrängung vor allem Menschen treffe, die wahrscheinlich Schwierigkeiten hätten, wieder eine bezahlbare Wohnung zu finden.
Genf und Lausanne machen laut der ETH Zürich vor, dass Verdichtung nicht Verdrängung bedeuten muss. In der ETH-Studie heisst es:
Der Auszug von ärmeren und der Einzug von reicheren Personen ist nicht unbedingt nur Ausdruck einer generellen Wohnungsknappheit. Abgerissene Gebäude sind in aller Regel älter und werden deshalb günstiger vermietet. Neu gebaute Wohnungen sind natürlich neu, bieten mehr und können teurer vermietet werden.
Laut dem amerikanischen Städte-Ökonomen Edward Glaeser können teure Neubauten einen Prozess in Gang bringen, der auch Geringverdienern hilft: einen Filterprozess. Neue und teure Häuser entstehen in gefragten Vierteln und werden von Gutverdienern bezogen. Deren alte Häuser werden frei für Durchschnittsverdiener. Deren noch ältere Häuser für Geringverdiener.
Das Problem vieler Städte ist laut Glaeser, dass nicht genug gebaut wird und der Filterprozess durch die Gentrifizierung ersetzt wurde: Besserverdienende ziehen nicht mehr in neue und teure Quartiere, sondern in erschwingliche, wo sie die Preise hochdrücken und den Mix an Läden und Gastronomie verändern.
Gewinner seien ältere Wohneigentümer, sagt Immobilienprofessor Hilber. In der Regel hätten sie vor längerer Zeit gekauft und so von den Preisanstiegen profitiert. Gewinner seien auch Mieter, die schon länger dieselbe Wohnung hätten, staatlich regulierte Bestandsmieten zahlen und so von subventionierten Mietzinsen profitieren würden. Und schliesslich seien Genossenschafter im Vorteil, manche würden ihre Genossenschaftswohnung sogar vererben können.
Verlierer seien alle, die neu in den Markt einsteigen müssen, sagt Hilber weiter. Sie würden deshalb stark gestiegene Eigenheimpreise oder hohe Marktmieten zahlen müssen, keine subventionierten Bestandsmieten. Hilber:
So ein Blödsinn! Es gibt (ausg. Sozialwohnungen) keine subventionierten Mietzinsen.
Ist „meine“ Bestandsmiete tiefer als die vom neu eingezogenen Nachbarn? Vielleicht.
Aber deshalb ist sie nicht subventioniert. Diese Miete basiert auf dem Stand des Liegenschaftswert von damals zuzüglich wertmehrender Sanierungen - so den solche erfolgten. Die Bestandsmiete basiert auf dem damaligen Wert.
Ist das Haus auf dem Papier vielleicht wertvoller? Mag sein. Aber ohne Verkauf ist das irrelevant.