Die Einrichtung eines Sondertribunals gegen Russland ist besiegelt. Bei einem Besuch in Strassburg haben der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Europarat-Generalsekretär Alain Berset ihre Unterschrift unter ein entsprechendes Abkommen gesetzt.
«Die Ukraine kann auf den Europarat zählen», sagte Berset nach der Unterzeichnung. «Jeder Kriegsverbrecher muss wissen, dass es Gerechtigkeit geben wird, und das gilt auch für Russland», erklärte Selenskyj.
Aber ist dafür nicht schon der Internationale Strafgerichtshofs (IStGH) zuständig? Was genau ist dann ein Sondertribunal? Diese und weitere Fragen klären wir in diesem Text.
Ein Sondertribunal ist ein «ad hoc einberufener Strafgerichtshof der Vereinten Nationen», so fasst es das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) zusammen. Kurz: Ein Sondertribunal ist ein Gericht zur Verfolgung schwerer internationaler Verbrechen – häufig durch internationale Kooperationen geschaffen.
Das Ukraine-Sondertribunal ist jedoch kein klassisches internationales Gericht, wie die Juristin Franziska Rinke in einem Gastbeitrag bei Legal Tribune Online (LTO) erklärt. Es wird mit 15 internationalen Richter:innen besetzt, urteilt jedoch auf der Grundlage ukrainischen Rechts.
Nach ukrainischem Recht können die Verantwortlichen bereits verfolgt werden, das Sondertribunal wird laut Rinke seine Zuständigkeit daraus ableiten. Die Ukraine überträgt dem Europarat dabei keine direkte Gerichtshoheit, aber bezieht ihn aktiv in die Organisation und Legitimation ein.
Angesiedelt wird das Tribunal im niederländischen Den Haag und soll möglichst innerhalb der kommenden Monate – zumindest in vorläufiger Form – an die Arbeit gehen können.
Das Sondertribunal soll den Start des Ukraine-Kriegs durch Russland strafrechtlich aufarbeiten. Das «Verbrechen der Aggression», also die Entscheidung zum Angriff auf die Ukraine, soll geahndet werden.
Ausserdem sollen die politischen und militärischen Verantwortlichen aus Russland zur Rechenschaft gezogen werden.
Für die Ahndung von Kriegsverbrechen ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag zuständig. Dieser ermittelt auch bereits wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermords in der Ukraine.
Im März 2023 hatte er wegen des Vorwurfs der Zwangsdeportation ukrainischer Kinder im Zuge der russischen Offensive einen Haftbefehl gegen Putin ausgestellt.
Der IStGH kann gegen Moskau jedoch nicht wegen des «Verbrechens der Aggression», also der Entscheidung zum Angriff, vorgehen. Zwar hat die Ukraine dem IStGH in zwei Erklärungen (2014 und 2015) die Zuständigkeit für ihr Territorium eingeräumt, aber nur für Kriegsverbrechen, nicht für das Verbrechen der Aggression. Und da Russland das Rom-Statut nicht ratifiziert hat, ist der Gerichtshof in diesem Punkt nicht zuständig.
Dadurch entsteht eine Rechtslücke, die durch die Einrichtung des Sondertribunals geschlossen werden soll.
Verantwortliche aus dem Kreml und aus dem russischen Militär sollen vor Gericht gebracht werden. Auch Kreml-Machthaber Wladimir Putin. Dass er aber tatsächlich auf der Anklagebank erscheinen wird, gilt als unwahrscheinlich. Zwar könnte Beschuldigten auch in Abwesenheit der Prozess gemacht werden. Doch Staats- und Regierungschefs sowie Aussenminister unterliegen rechtlicher Immunität.
Eine Verurteilung ist erst möglich, wenn sie aus dem Amt scheiden oder ihre Immunität aufgehoben wird. Laut Europarat ist das Sondertribunal aber trotzdem wichtig, zum Beispiel um Beweise zu sammeln und Anklagen vorzubereiten.
(Mit Material von Reuters, dpa, afp)