Es geht in diesem Abstimmungskampf ums grosse Ganze, um die Frage, was das Erfolgsmodell der Schweiz ist – und ob dieses gerade für die Zukunft gesichert oder zerstört wird. Die Abschaffung der Emissionsabgabe auf Eigenkapital ist dabei wahlweise ein Mosaikstein (Ueli Maurer) oder eine Salamischeibe (Jaqueline Badran). Beide Seiten rücken die grosse Linien in den Fokus – und zeichnen ein gänzlich anderes Bild.
Die Befürworter reden viel von Standortattraktivität. Bundesrat Maurer betont, die Schweiz müsse den Unternehmen gute Rahmenbedingungen bieten. In der Vergangenheit seien deswegen viele Firmen hierher gezogen, hätten Steuern bezahlt und Arbeitsplätze geschaffen. Er weist darauf hin, dass die Steuererträge in den letzten zwei Jahrzehnten kräftig zulegten. Nun müsse die Schweiz schauen, dass sie attraktiv bleibe, sagt er. Die Abschaffung der Emissionsabgabe sei dabei ein «Mosaikstein» – und ein Signal.
Für SP-Vizepräsidentin Badran, Wortführerin der Gegner, ist die Abschaffung der Emissionsabgabe hingegen ein weiterer Schritt auf dem Weg in die falsche Richtung, ein weiteres Stück der Salamitaktik. «Der grosse Plan ist, Kapital weniger zu besteuern, dafür Arbeit und Konsum stärker», sagt sie. «Und das ist ein grosser Fehler.» Während es laut Maurer um die Sicherung des Erfolgsmodells der Schweiz geht, wird dieses aus ihrer Sicht gerade Stück für Stück zerstört.
Gemäss Badran lautete das Schweizer Erfolgsrezept nach dem Zweiten Weltkrieg während langer Zeit: das Kapital relativ hoch besteuern, Arbeit und Konsum tief. «Die Firmen gaben sich mit weniger Rendite zufrieden als heute, bezahlten dafür hohe Löhne – und trugen so zum Aufstieg einer kaufkräftigen Mittelklasse bei, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte.» Die Leute konnten sich mehr leisten und kurbelten mit ihrer Nachfrage die Wirtschaft an.
Von diesem Erfolgsweg sei die Schweiz inzwischen abgekommen, sagt Badran. Sie spricht von einer 180-Grad-Kehrtwende, von einer Zäsur, die sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks ereignet habe. Viele Firmen seien an die Börse, müssten seither – vor allem auf Druck der Finanzmärkte – eine höhere Rendite liefern. Die studierte Ökonomin Badran sagt:
Kapital sei schrittweise immer stärker entlastet worden, durch die Unternehmenssteuerreformen I und II etwa sowie Senkungen und Teilabschaffungen der Stempelsteuer. Gleichzeitig seien Arbeit und Konsum stärker belastet worden, beispielsweise durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Dadurch könnten sich die Leute weniger leisten, die Nachfrage werde geschwächt, was für die Firmen und die ganze Volkswirtschaft schädlich sei. «Die Gewinne sind explodiert, die frei verfügbaren Einkommen stagnieren», kritisiert Badran. «Das ist schädlich, weil 62 Prozent der Wirtschaftsleistung aus dem Konsum der privaten Haushalte stammen.»
Was Badran als Erfolgsrezept bezeichnet, sehen andere Ökonomen allerdings skeptisch. Tatsächlich hatte die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg ein starkes Wirtschaftswachstum erlebt, ebenso wie viele andere Länder. Laut Experten hatte das indes wenig mit der Wirtschaftspolitik zu tun. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks habe sich der internationale Wettbewerb verschärft; eine 180-Grad-Kehrtwende in der Steuerpolitik habe es aber nicht gegeben.
Christoph Schaltegger ist Professor für Politische Ökonomie an der Universität Luzern. Er sagt: «Bis in die 1990er-Jahre wurde Kapital in vielen Ländern relativ hoch besteuert, vor allem Unternehmensgewinne.» Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs habe sich das geändert, da die Mobilität des Kapitals stark gestiegen sei. Grosse Firmen konnten ihren Steuersitz also dorthin verlegen, wo es für sie günstig war. Das Kapital stärker zu besteuern, sei deshalb «unklug», sagt er. Grosse Firmen würden schlicht abwandern:
Gemäss einer Analyse der Ökonomen Marius Brülhart und David Staubli sind multinationale Firmen etwa sieben Mal so steuerempfindlich wie einheimische KMU. Sie reagieren also rascher auf Steuersenkungen oder -erhöhungen. «Ein wichtiger Teil der Schweizer Politik seit den Neunzigerjahren bestand darin, hochmobiles Kapital anzulocken, also international tätige Konzerne und grosse Privatvermögen», sagt Brülhart. «Diese Politik war ziemlich erfolgreich.»
Ziehen multinationale Firmen in die Schweiz, heisst das in der Regel: Es gibt mehr Steuerzahler und neue Arbeitsplätze. «Daher dürfte dies auch den Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen eher nützen als schaden», so der Professor der Uni Lausanne.
Badran sagt hingegen, die Entlastung der grossen Konzerne führe dazu, dass die natürlichen Personen mehr bezahlen müssten. In einem Punkt gibt sie den Befürwortern aber recht: «Grosse Firmen sind wichtig für die Schweiz. Und natürlich ist das Kapital mobil, deshalb braucht es globale Regeln.»
Dass Firmen der Schweiz aus steuerlichen Gründen den Rücken kehren, wie etwa Bundesrat Maurer warnt, glaubt sie nicht – dafür sei der Standort zu gut, mit seiner Infrastruktur, den gut ausgebildeten Arbeitskräften. «Wohin sollten sie auch gehen, wenn neu überall gleich viel Steuern bezahlt werden muss? Nach der Ablehnung der Unternehmenssteuerreform III sind auch nicht scharenweise Firmen abgewandert», sagt sie. «Wir dürfen uns nicht von solchen Drohungen erpressen lassen und kapitalbezogene Steuern wie die Emissionsabgabe ohne Not abschaffen. Zumal gerade die betroffenen Konzerne keine Emmissionsabgabe bezahlten, sondern Aktien im grossen Stil zurückkaufen.»
Ohne Not? Tatsächlich zweifeln Ökonomen Maurers Argumentation ein Stück weit an, wonach die Abschaffung angesichts der OECD-Mindeststeuer wichtig sei, um den Standort zu stärken. Brülhart sagt: «Ob die Abschaffung der Emissionsabgabe tatsächlich ein Hebel ist, um für multinationale Firmen attraktiv zu sein, ist für mich unklar. Dazu müsste man genau wissen, wen die Emissionsabgabe betrifft.»
Auch Marco Salvi von der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse relativiert die Bedeutung: «Die Abschaffung der Emissionsabgabe allein ist nicht matchentscheidend. Aber die Abgabe ist sicher ein Nachteil für den Standort Schweiz.» Wie Schaltegger spricht er von einer schlecht konzipierten Steuer, die man abschaffen müsse.
Überhaupt sind Unternehmenssteuern aus Salvis Sicht schlechte Steuern, da sie letztlich Investitionen hemmten. Die Schweiz besteuere den Konsum eher tief, dafür die Investitionen eher hoch – «was eigentlich schlecht ist, weil es das Wachstum der Produktivität und schliesslich der Löhne hemmt», sagt er. Gerade die nordischen Länder zeigten, dass man auch mit hohen Konsumsteuern und vergleichsweisen tiefen Kapitalsteuern erfolgreich sein könne.
Da ist er also wieder, der «grosse Plan», vor dem es Badran graut. Aktuell geht es indes nur um die Abschaffung der Emissionsabgabe. Und ein Blick in die Vergangenheit offenbart: Die Schweiz ist nicht das Land der grossen Revolutionen, auch nicht im Steuerbereich. Das zeigt nicht zuletzt die Emissionsabgabe: Sie gibt es seit 1917. (saw/ch media)