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Trotz mehr Freizeit: Das Burnout macht auch vor Jungen nicht halt

«Generation Y»

Trotz mehr Freizeit: Das Burnout macht auch vor Jungen nicht halt

Junge Erwachsene wollen mehr Freizeit, weniger Karriere, sich dafür selbst verwirklichen. Doch genau diese drei Ansprüche können genauso zu Depressionen führen wie zu viel Arbeit.
21.10.2014, 06:3621.10.2014, 08:12
Raffael Schuppisser und Alexandra Fitz / Aargauer Zeitung
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Aargauer Zeitung
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Überfordert, gestresst und erschöpft – diese Zustände werden immer häufiger mit der Arbeit verknüpft. Laut einer aktuellen Studie der Universität Bern sind 300'000 Arbeitnehmer in der Schweiz nahe einem Burnout. Belastung im Job ist ein Hauptthema unserer Gesellschaft. Ist das die «Generation Burnout?» 

Bei jungen Erwachsenen scheint es anders zu sein – für sie wird Freizeit immer wichtiger. «Die neue Generation will nicht die ganze Lebensenergie für den Beruf und die berufliche Zukunft investieren. Freizeitbeschäftigung und sportliche Beschäftigung haben einen hohen Stellenwert», sagt Olivier Steiner, vom Institut für Kinder- und Jugendhilfe der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Junge Menschen identifizieren sich nicht mehr hauptsächlich mit dem Unternehmen und ordnen ihre persönlichen Interessen unter. Sie arbeiten nicht mehr nur 100 Prozent und verreisen gerne, auch mal ein ganzes Jahr. Man bezeichnet sie oft als «Generation Y» (Buchstabe Y, weil man ihn Englisch als «why» – «warum» – ausspricht. Die Altersgruppe, die alles hinterfragt und nach dem Sinn sucht). 

«Die neue Generation will nicht die ganze Lebensenergie für den Beruf und die berufliche Zukunft investieren.»
Olivier Steiner, FHNW

Die zwischen 1980 und 2000 Geborenen lechzen nach «Zeit zum Leben», Karriere ist ihnen weniger wichtig. Sie wollen auch gute Jobs, aber mit Grenzen. Grenzen, was die Stunden, den Einsatz und die Verfügbarkeit betrifft. Ansprüche an die Arbeit haben sich grundlegend geändert. 

Selbst verwirklichen statt Geld 

Ein noch drastischerer Wertewandel findet bei denen statt, die noch gar nicht im Jobleben angekommen oder gar Arbeits-Neulinge sind. Diese Werteverschiebung, vor allem auch die Arbeit betreffend, wird in der Fachpublikation «Generation Ego – die Werte der Jugend im 21. Jahrhundert» von den Trend- und Jugendkulturforschern Philipp Ikrath und Bernhard Heinzlmaier beschrieben. Bei diesem Generationen-Label ist der egozentrische Individualismus kennzeichnend. 

Im Mittelpunkt allen Strebens steht die eigene Person. «Im Gegensatz zu ihren Eltern und Grosseltern ist ihr Bedürfnis nach Statussymbolen wie grosse Autos oder teure Anzüge geringer», sagt Ikrath. Ihnen gehe es nicht um Geld und Karriere, sie wollen sich verwirklichen. «Es geht ihnen nicht um einen materiellen, sondern um einen ideellen Benefit», sagt Ikrath. Selbstverwirklichung steht im Zentrum. 

Selbstverwirklichung, nicht die Karriere, steht im Zentrum.
Selbstverwirklichung, nicht die Karriere, steht im Zentrum.Bild: Great barrier reef (AP QUEENSLAND TOURISM)

Wenn sie also mehr auf sich schauen, sind sie weniger Burnout-gefährdet? «Nein», sagt Ikrath. «Geld ist wenigstens messbar. Aber solch hohe Ansprüche an sich selber und die Prämisse, etwas Sinnvolles zu leisten können extrem stressig sein, weil sie viel schwieriger zu erreichen sind.» Dies führe umso mehr zu Depressionen. Zudem sei diese Generation nicht frustrationstolerant. Und Frust gebe es, weil die Menschen zur ständigen Selbstoptimierung gezwungen seien – was dem modernen Arbeitsleben zuzuschreiben sei. 

Handy – Fluch oder Segen? 

Dafür ist die «Generation Ego» versierter im Umgang mit den neuen Medien. Es ist die erste Generation, die nie eine Welt ohne Internet gekannt hat. Für diese Generation ist es selbstverständlich, ständig erreichbar und ständig am Multitasken zu sein. Genau diese Fähigkeiten werden heute auch vermehrt im Arbeitsalltag vorausgesetzt. 

Smartphones bringen den Jungen nicht nur Vorteile.
Smartphones bringen den Jungen nicht nur Vorteile.Bild: Shutterstock
Jetzt auf

Doch auch bei Jugendlichen könne es zu Überbelastungen kommen, meint Steiner. Lange Arbeitstage, ständig unter Druck arbeiten und auch in der Freizeit für den Arbeitgeber erreichbar sein – irgendwann wird das für fast jeden zu viel. «So wird auch die nächste Generation teilweise Erschöpfungssymptome zeigen, obwohl sie den Umgang mit neuen Medien gewohnt ist», meint Walter Gregor, Medienpsychologe an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). 

Je länger und hektischer die Arbeitswelt wird, desto wichtiger wird auch das Abschalten können. Gerade hier zeigt sich die Stärke der älteren Generation: Sie hat einmal eine Arbeitswelt ohne Smartphone gekannt. «Diese Generation hat ein besseres Gefühl dafür, wann man online sein muss und wann nicht», sagt Steiner. Auch das ist eine wichtige Fähigkeit, um im hektischen Arbeitsalltag langfristig bestehen zu können. 

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