Vertreter der französischen Regierung und der kanakischen Urbevölkerung einigten sich in der Nacht auf Samstag in Bougival bei Paris auf ein «historisches Abkommen», wie sich Unterhändler ausdrückten. Um es in Kraft zu setzen, ist noch eine Änderung der französischen Verfassung nötig. Zustimmen müssen auch die 270'000 Inselbewohner, von denen die pro-französischen Loyalisten heute noch eine knappe Stimmenmehrheit bilden.
Das unterzeichnete Abkommen sieht laut seinem Text die Bildung eines «Staates» vor, der «in Frankreich integriert» sein soll. Neukaledonien soll eine neue Flagge, eine Hymne und einen eigenen Namen erhalten. Die angestammte Bevölkerung (45 Prozent der Einwohner) spricht schon heute von «Kanaky». Das aktuelle Autonomiestatut soll sich in eine eigentliche Selbstverwaltung auswachsen. Kompetenzen wie Polizei und Justiz sollen an die Inselbevölkerung übergehen.
Das ist deshalb von grösster Bedeutung, weil Jugendliche vor einem Jahr schwere Krawalle mit 14 Toten und Attacken auf französische Firmen ausgelöst hatten. Die französische Regierung musste aus dem 17'000 Kilometer entfernten Paris Gendarmen und Armeeeinheiten auf die aufrührerische Insel entsenden.
Neukaledonien, wo heute mit dem pazifischen, an den Euro gekoppelten Franc bezahlt wird, soll auch eine eigene Währung erhalten. Frankreich will seine Wirtschaftshilfe fortsetzen, nachdem es schon heute für einen Drittel des kaledonischen Haushaltes aufkommt.
Faktisch würde «Neukaledonien» oder «Kanaky» ein mit Frankreich assoziierter Staat. Dieses Statut ist im Pazifik verbreitet: Palau ist zum Beispiel den USA verbunden, die Cookinseln sind Neuseeland angeschlossen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron liess sich von diesem Modell inspirieren, als er die Loyalisten und Separatisten vor einer Woche nach Bougival zu Verhandlungen einlud. Das Abkommen ist ein Erfolg für ihn und Überseeminister Manuel Valls, den sozialistischen Ex-Premier.
Über den Berg ist die Einigung allerdings noch nicht. Der neue Präsident der «kanakischen und sozialistischen nationalen Freiheitsfront» (FLNKS), Christian Tein, der wegen Krawallbeteiligung eigentlich eine Haftstrafe verbüsst, aber im Hintergrund mitverhandelte, nannte die Einigung «interessant». Mehr nicht. Der gemässigtere FLNKS-Ex-Präsident Roch Wamytan will das Abkommen immerhin seiner Organisation unterbreiten.
Vor allem die jüngere Kanak-Generation strebt weiterhin eine völlige Unabhängigkeit von Frankreich an. Mit dem Argument, «Kanaky» brauche das Milliardenmanna aus Paris nicht, da ihre Insel über die grössten Nickelvorkommen der Welt verfüge.
Frankreich wird nicht freiwillig auf diese Rohstoffquelle verzichten. Macron hat zudem öfter betont, Neukaledonien sei militärstrategisch wichtig gegen den Druck Chinas aus dem Nordpazifik. Die FLNKS pflegt indessen Kontakte zu China und Aserbaidschan.
Paris wird mit Unterstützung Australiens alles unternehmen, um einen geostrategischen Seitenwechsel seiner einstigen Kolonie zu verhindern. Ein wirklich unabhängiger Staat dürfte Neukaledonien nicht so schnell werden. (aargauerzeitung.ch)