Im Jahr 2003 veröffentlichte Hans-Werner Sinn eines der einflussreichsten Ökonomie-Bücher der jüngeren Vergangenheit. «Ist Deutschland noch zu retten», fragte der Mann, der nicht nur wie ein Jesuit aussieht. Er verkündete auch eine Botschaft von Askese und Verzicht.
Sinn stellte «harte und unangenehme Reformen» in Aussicht, warnte vor einer «Vergreisung» und stellte klar: «Die Behandlung wird kein Vergnügen sein. Sie wird schmerzen.» Sinns Sparen-und-Leiden-Botschaft wurde in der Folge praktisch jeden Sonntagabend in der TV-Talksendung von Sabine Christiansen, der Vorgängerin von Anne Will, abgenudelt. Sie hat massgeblich dazu beigetragen, dass der damalige Kanzler Gerhard Schröder seine Sparagenda 2010 durchboxen konnte.
Wiederholt sich die Geschichte? «Die fetten Jahre sind vorbei» verkündet der «Spiegel» in seiner jüngsten Ausgabe auf dem Titel. Im Innern werden Sinns Thesen unter der Schlagzeile «Auslaufmodell Deutschland» praktisch identisch wiederholt.
«Wir Deutschen sind längst nicht mehr so gut, wie wir glauben, das deutsche Modell ist so nicht zukunftsfähig», wird gejammert. Es werden namhafte Topmanager zitiert, die erklären, dass «vieles verkehrt» laufe; und es wird gewarnt, dass das «Hochlohnland Deutschland» von den USA und China «zerquetscht» werde.
Der «Spiegel» ist kein einsamer Rufer in der Wüste. In ihrem Buch «Titelverteidiger» kommen Frank Riemensperger und Svenja Falk von der Beratungsfirma Accenture zu ähnlichen Schlussfolgerungen:
«Deutschland schläft immer noch seinen Dornröschenschlaf im rosenumrankten Schloss seiner früheren Erfolge, während die Prinzen längst anderswo unterwegs sind», stellen die beiden fest und folgern, dass die «Erfolgsmodelle von gestern» ihre Gültigkeit verloren hätten und daher schnell «fundamental verändert» werden müssten.
Die Angst, die Digitalisierung verpasst zu haben, zieht sich wie ein roter Faden durch die neue deutsche Panik. Sie ist nicht ganz unbegründet. SAP, das letzte namhafte deutsche IT-Unternehmen, wurde Anfang der Siebzigerjahre gegründet. Deutschlands Wirtschaftsboom ist noch fest in der analogen Welt verankert.
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Autoindustrie. «Bundesweit arbeiten mehr als 800’000 Menschen für einen Autohersteller oder Zulieferer», stellt der «Spiegel» fest. «Manche Region in Deutschland wäre ohne die Fahrzeugbranche kaum überlebensfähig.»
Das Klumpenrisiko Autoindustrie besteht tatsächlich. Ende der Woche muss Donald Trump entscheiden, ob er die Autoimporte in die USA mit einem Strafzoll von 25 Prozent belegen will. Sollte er dies tatsächlich tun, dann hätte dies schwerwiegende Folgen für die deutsche Wirtschaft.
Kommt dazu, dass VW, BMW und Mercedes derzeit nicht eben glänzen. Der Dieselskandal zieht immer weitere Kreise. Die Angst, dass man den Anschluss an das Elektroauto verschlafen hat, wächst. Eine Schwächeanfall hätte daher weitreichende Folgen. Accenture hat in einer Studie ermittelt, dass die Autoindustrie zwischen 2007 und 2017 für 60 Prozent des Wirtschaftswachstums verantwortlich war.
Bereits hat die Formkrise der Autoindustrie Spuren in der Buchhaltung der deutschen Volkswirtschaft hinterlassen. Im Sommer 2018 ist das Bruttoinlandprodukt (BIP) leicht geschrumpft, im vierten Quartal hat es stagniert.
Jetzt können die Deutschen ein bisschen aufatmen: Das Statistische Bundesamt meldet, dass das BIP im ersten Quartal 2019 um 0,4 Prozent zugelegt hat. Verantwortlich für den neuen Wachstumsschub ist jedoch nicht die Exportindustrie, sondern der Binnenkonsum und die Bauwirtschaft.
In den Nullerjahren haben Sparwut und die Geiz-ist-geil-Mentalität Deutschland zu einem Prekariat und Europa zu Jahren nutzloser Austeritätspolitik verholfen. Dieses masochistische Experiment verdient keine Fortsetzung. Deutschland rettet sich am besten, wenn sich die Deutschen selbst etwas gönnen.
Die Wirtschaft besteht weder hüben noch drüben nur aus Grosskonzernen - die meisten arbeiten in KMUs. Deutsche KMUs sind bei der Digitalisierung gut dabei. Noch besser dastehen könnte Europa, wenn wieder mehr Wirtschaftspolitik für KMUs statt für Grosskonzerne gemacht würde.
Es muss mehr geld verteilt werden, und nicht an parasitären aktionären sondern an die arbeiter die das geschäft erst erfolgreich machen