Kaum fährt der Interregio 13 Zürich – St.Gallen – Chur aus der Perronhalle des Zürcher Hauptbahnhofs, fängt der Zug an zu schütteln. Als der brandneue SBB-«Superzug» FV-Dosto über das Aussersihler Viadukt und die Limmat rollt, beginnen selbst die Sitzlehnen zu vibrieren. Das Oberdeck schaukelt, ruckelt unvermittelt nach links, nach rechts.
Für die Passagiere sind die Vibrationen unangenehm. Richtig leiden aber die SBB-Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter unter dem Schüttelzug, die während ihrer Schichten stundenlang durch die 200 Meter langen Kompositionen gehen müssen.
«Meine Hüften schmerzen. Ich bin nudelfertig», sagt ein SBB-Kondukteur zum watson-Reporter, als er beim letzten Stopp vor Dienstende aus dem FV-Dosto steigt.
Ob am Rücken, an Knien oder Beinen: Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter klagen wegen der Vibrationen im FV-Dosto über gesundheitliche Probleme, wie sie im Gespräch mit watson erklären. «Eine Kollegin musste sich wegen Meniskusproblemen mehrere Wochen vom Bombardier-Doppelstöcker dispensieren lassen», so der SBB-Mitarbeiter weiter.
Dies bestätigt Jürg Hurni von der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV) gegenüber watson. «Die Knie unserer Mitarbeiter werden durch die Erschütterungen im Bombardier-Doppelstöcker arg in Mitleidenschaft gezogen». Es seien mehrere Fälle bekannt, bei denen wegen des FV-Dostos beim Personal gesundheitliche Probleme aufgetreten seien. Dies insbesondere, weil die Schläge im Zug sehr unvermittelt aufträten und sich die Mitarbeiter daher – nicht wie in anderen Zugstypen – auf Erschütterungen vorbereiten könnten.
Der Zugbegleiter veranschaulicht: Man müsse bei der Schicht im FV-Dosto die Muskeln ständig anspannen, um die Vibrationen und die unnatürliche Neigung des Zuges auszugleichen. «Für mich ist das eine grosse Belastung. Darum schmerzen jetzt meine Hüften.»
Die SBB bestätigen auf Anfrage von watson, dass sie entsprechende Rückmeldungen vom Personal erhalten haben. «Wir nehmen diese Hinweise sehr ernst und haben bereits Massnahmen umgesetzt», so SBB-Sprecherin Sabine Baumgartner. Man könne jedoch derzeit nicht bestätigen, dass die erwähnten Meniskusprobleme mit dem FV-Dosto zusammenhingen. «Die vertieften medizinischen Abklärungen laufen», so die Sprecherin.
Mit ein Grund für die starken Erschütterungen ist die so genannte Wankkompensation, die höhere Kurvengeschwindigkeiten erlaubt. Dies ist eine neuartige Neigetechnik für Doppelstock-Züge, die in den FV-Dosto erstmals eingesetzt wird und den Technikern von Bombardier und der SBB seit Jahren schlaflose Nächte bereitet.
Ein Software-Update soll die Vibrationen verringern. Dieses wurde laut SBB in den letzten Wochen in den Zügen eingespeist. «Es bringt eine deutliche Verbesserung des Fahrkomforts. Die in die Tests mit einbezogenen Kundenbegleiter haben die erzielten Verbesserungen bei einer internen Bewertung bestätigt», so Baumgartner weiter. Es sei das Ziel der SBB, den Fahrkomfort in den FV-Dosto-Zügen für alle Mitfahrenden möglichst rasch weiter zu verbessern.
Davon ist auf der Fahrt des watson-Reporters mit dem Bombardier-Doppelstöcker «Stadt Bern» nach St.Gallen allerdings wenig zu spüren. Als der Reporter aussteigt, ist ihm unwohl, obschon er jeden Tag mit dem Zug von Bern nach Zürich pendelt. Dies allerdings mit dem altbewährten IC2000-Doppelstöcker. «Ich erwarte vom Bombardier-Zug ein ganz anderes Fahrverhalten», betont auch Hurni.
Ebenfalls irritiert über die nimmer endenden Kinderkrankheiten des FV-Dostos ist ein weiterer SBB-Zugbegleiter, der schon über 40 Jahre im Dienst ist. Bei der Einführung des einstöckigen ICN-Neigezuges auf der Jura-Südfusslinie sei es zwar einigen Kollegen anfangs auch unwohl gewesen. «Aber niemals in diesem Ausmass wie bei den neuen Doppelstöcker-Neigezügen.»
Natürlich ist nicht alles schlecht in den neuen Bombardier-Doppelstöckern. So gefallen das luftige Raumgefühl im Oberdeck und die zahlreichen Abstellmöglichkeiten für Velos und Gepäck. «Ich finde die Glastüren sehr schön. Der Zug gefällt mir, auch wenn er unruhiger ist», so eine SBB-Kundin.
Allerdings ist der Bombardier-Zug immer noch pannenanfällig und weniger zuverlässig als die alten IC2000-Doppelstöcker. Trotz sechs Jahren Verspätung verkehrt der neue SBB-«Superzug» daher bis auf weiteres nur auf Nebenstrecken. Wann der bis 1300 Passagiere fassende FV-Dosto auf der Hauptstrecke Genf – Bern – St.Gallen fährt, steht weiter in den Sternen. Der Betrieb auf der IC1-Linie werde dann aufgenommen, «wenn genügend betriebsstabile Fahrzeuge vorhanden sind», heisst es von den SBB.
Zurück im Zürcher Hauptbahnhof. Auf dem Weg in den Führerstand witzelt der Lokführer mit dem Zugpersonal: «Ich bin gespannt, ob wir heute ankommen». Trotz all den Widrigkeiten haben die SBB-Mitarbeiter ihren Humor noch nicht verloren.
Wieviele MA‘s sind bezüglich des Bombardier Dosto‘s von gesundheitlichen Problemen betroffen?
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass all jene aus heiterhellem Himmel gleichzeitig unter spezifischen Beschwerden leiden.
Vielmehr scheint es plausibel, dass je nach persönlicher Disposition der Dienst im Dosto ein wesentlicher auslösender Stress-Faktor ist.
Die SBB tun gut daran, die Probleme ernst zu nehmen.
Die grundlegende Misere lässt sich freilich kaum einfach lösen.
Jou. Sonst wäre er ja auch nicht mehr der Schüttelzug.
🤓
Kürzlich hatte ich mir vorgenommen auf besagter Strecke ein bisschen zu arbeiten und musste nach 10 Minuten den Laptop zuklappen, weil mir kotzschlecht wurde.