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Der gewagte Poker der Angela Merkel 

Angela Merkel bei der Neujahrsansprache.
Angela Merkel bei der Neujahrsansprache.Bild: AP/POOL dpa
Die neue Eurokrise

Der gewagte Poker der Angela Merkel 

Die Griechen sollen gezüchtigt werden, um Spanier und Italiener von dummen Gedanken abzuhalten.
05.01.2015, 13:0705.01.2015, 13:31
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Neue Töne aus Berlin: Ein «Grexit», ein Austritt Griechenlands aus dem Euroraum, sei unter den gegebenen Umständen kein Problem mehr, meldet der «Spiegel» mit Berufung auf «hohe Regierungskreise». Selbstverständlich wird offiziell sofort dementiert, doch man muss nicht über einen Intelligenzquotienten von 150 Punkten verfügen, um zu erkennen, was gespielt wird: Die Griechen sollen davon abgehalten werden, bei den kommenden Wahlen am 25. Januar der Syriza-Partei unter Alexis Tsipras an die Macht zu helfen. Die Linkspartei liegt derzeit gemäss Umfragen in Führung. 

Favorit für die Wahlen: Alexis Tsipras.
Favorit für die Wahlen: Alexis Tsipras.Bild: EPA/ANA-MPA

Spanien und Italien im Visier

Der eigentliche Adressat der Botschaft von Angela Merkel sind jedoch nicht die Griechen. Auch in Spanien finden dieses Jahr Wahlen statt, und in den Umfragen hat die Podemos, ebenfalls eine oppositionelle Linkspartei, die Nase vorn. In Italien sind zwar – zumindest vorläufig – noch keine Neuwahlen vorgesehen, aber der Unmut über Brüssel und Berlin wächst täglich. Oppositionsführer Beppe Grillo lässt bereits Unterschriften für einen Austritt aus dem Euro sammeln. Daher Merkels Griff zur Peitsche: Die Griechen sollen gezüchtigt werden, um die Spanier und Italiener davon abzuhalten, auf dumme Gedanken zu kommen.

2012 hat Angela Merkel noch alles unternommen, um einen «Grexit» zu verhindern. Warum nun der Gesinnungswandel? Tatsächlich haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat inzwischen das OMT-Programm lanciert, das – sofern der Europäische Gerichtshof zustimmt – im Falle einer Währungskrise notleidenden Staaten unter die Arme greifen kann. Ebenso haben sich die Länder der Einheitszone zu einer Bankenunion zusammengeschlossen, und auch der Rettungsschirm EMS ist ausgebaut worden.

Der griechische Knoten lässt sich nicht so leicht lösen

Trotzdem pokert die Kanzlerin hoch: Wie genau ein «Grexit» ablaufen soll, ist keineswegs geklärt und die Folgen sind nach wie vor schwer einzuschätzen. Zur Erinnerung: Im Sommer 2008 gingen die US-Regierung und die US-Notenbank ebenfalls davon aus, eine Pleite der Investmentbank Lehman Brothers wäre verkraftbar, um kurz danach erschreckt feststellen zu müssen, dass diese Pleite beinahe das gesamte internationale Finanzsystem zusammenkrachen liess.

Obwohl Griechenland rein wirtschaftlich gesehen für die EU nach wie vor unbedeutend ist, lässt sich der griechische Knoten nicht mit einem gezielten Schwertschlag durchtrennen. Einerseits ist längst allen klar, dass Hellas seine Staatsschulden von rund 170 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) niemals wird zurückzahlen können. Andererseits fürchtet Brüssel zu Recht, dass ein Schuldenschnitt den anderen Mitgliedern mehr als sauer aufstossen könnte: Immerhin sind Griechenland insgesamt Hilfsgelder in der Höhe von rund 240 Milliarden Euro zugesagt worden. 

Ohne Schuldenschnitt keine Zukunft

Mit verschiedenen Tricks wird Griechenland über Wasser gehalten, vor allem sind die Fristen gestreckt und die Zinsen der Schulden gesenkt worden. Griechenland muss daher derzeit bloss rund vier Prozent des BIP für die Bedienung dieser Schulden aufwenden, weniger als Irland, Italien und Portugal. Trotzdem sieht die wirtschaftliche Situation in Hellas nach wie vor katastrophal aus, und ohne Schuldenschnitt gibt es auch keine Perspektive für die Zukunft.

Das gilt auch für Spanien und Italien. In Spanien hat das BIP noch nicht einmal den Stand von 2007 wieder erreicht, und die Zahl der Arbeitslosen liegt nach wie vor deutlich über 20 Prozent. Italien befindet sich seit 2008 de facto in einer Rezession und steht – sollte die Regierung von Matteo Renzi scheitern – vor einer politischen Katastrophe. 

Die Kanzlerin sorgt für Ruhe an der innenpolitischen Front

Es kann sein, dass Merkels Poker Erfolg hat und sich die Griechen aus Angst vor einem «Grexit» nochmals für eine konservative Regierung aussprechen werden. Ob sich die Spanier und Italiener deswegen bereit erklären werden, sich nochmals für Jahre unter das Joch einer von Berlin diktierten Austeritätspolitik zu begeben, ist fraglich. Anders als Griechenland sind die beiden wirtschaftlich wichtig und sie können gegebenenfalls mit Unterstützung aus Paris rechnen. 

Angela Merkel greift zur Peitsche, weil sie die Angst ihrer Landsleute besänftigen will, die Südeuropäer würden ohne Druck die notwendigen Reformen nicht durchführen. Niemand bezweifelt, dass solche Reformen notwendig sind, doch sollten diese Reformen so durchgeführt werden, dass der Patient nicht während der Operation stirbt. Europa steht derzeit am Rande einer Deflation, und eine Deflation würde bedeuten, dass die ohnehin schon riesige Schuldenlast noch stärker drücken würde. Noch mehr Druck wirkt daher kontraproduktiv. 

Die Mitschuld des Nordens

Anstatt gegenüber den Südeuropäern die Starke zu spielen, müsste die Kanzlerin endlich den Mut haben, ihren Landsleuten ein paar unangenehme Wahrheiten aufzutischen. Die Griechen, Portugiesen, Spanier & Co. konnten ihre Fehler nur machen, weil sie jahrelang ebenso fahrlässig mit Krediten und Exporten aus dem Norden versorgt worden sind. Das Nord-Süd-Gefälle ist heute zur grössten Gefahr für die europäische Einheit geworden. Ohne Einsicht einer deutschen Mitschuld wird sich dieses Problem nicht lösen lassen.  

Griechenland

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quelle: ap/ap / thanassis stavrakis
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1 Kommentar
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Die beliebtesten Kommentare
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saukaibli
05.01.2015 14:29registriert Februar 2014
Ach ja, die schlimmen, schlimmen Linksparteien. Es ist ja nicht so, dass uns wirtschaftsfreundliche Mitte- und Rechtsparteien diesen ganzen Schlamassel eingebrockt haben [\Ironie off]
Es ist in Europa schon fast wie in den USA, alles was nicht 100% wirtschaftgläubig ist, gilt als kommunistisch. Dabei ist es gerade der Wirtschaftsliberalismus, der uns immer wieder in Wirtschaftskrisen führt. Dabei profitieren dann wieder die Reichen und die Mittelschicht bezahlt für alles. Kein Wunder haben die Reichen Angst vor den Linken, und Frau Merkel gehört ganz sicher zu den Reichen.
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