Was die «Süddeutsche Zeitung» im Mai auf ihrer prestigeträchtigen dritten Seite präsentierte, dürfte viele ihrer Leser schockiert haben: Über einen Hilfslehrer wurde dort berichtet, der ein regelrechtes Martyrium erlebte, nachdem er sich zu seiner Homosexualität bekannt hatte.
Der Vorfall, über den die «Märkische Oderzeitung» bereits im Februar berichtet hatte, beschäftigt nun die Berliner Stadtpolitik. Er spielte sich im Stadtteil Moabit ab. Nördlich des Regierungsviertels gelegen, wirkt das Quartier wie ein Überbleibsel des alten, rauen Berlin: Die Strassen sind von rustikalen libanesischen Restaurants geprägt; trendige Cafés als Vorboten der Gentrifizierung spriessen trotz Zentrumsnähe eher zaghaft.
An der Carl-Bolle-Primarschule, an der Oziel Inácio-Stech unterrichtete, haben 95 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund; weitaus die meisten von ihnen in der islamischen Welt. Bis zu seiner Krankschreibung im März hatte der Brasilianer, der seit 2010 in Berlin lebt, die regulären Lehrkräfte unterstützt, etwa wenn es darum ging, besonders förderbedürftige Schüler nicht den Anschluss verlieren zu lassen.
Dass er schwul und mit einem Mann verheiratet ist, verschwieg Inácio-Stech lange Zeit; in einer Schule, in der sich Eltern regelmässig über aus ihrer Sicht zu kurze Röcke von Lehrerinnen beschweren, schien ihm dies die sicherere Variante zu sein. Auch, dass er Jude ist, erwähnte der Brasilianer lieber nicht: Ein Kollege aus Israel habe die Schule verlassen, weil muslimische Kinder seinen Unterricht boykottiert hätten.
Vor etwa fünf Jahren, so erzählte der 43-Jährige, habe er sich dann doch geoutet, nachdem Schüler ihn gefragt hätten, ob er eine Frau habe. «Sie sind schwul?», habe daraufhin eine zwölfjährige Schülerin ausgerufen. «Das werde ich in der ganzen Schule rumerzählen.»
Die Pandemie verschaffte Inácio-Stech einen Aufschub: Präsenzunterricht fand vorerst nicht mehr statt. Sein Outing ging allerdings nicht vergessen, und so begann mit seiner Rückkehr in die Schule im Frühjahr 2023 eine Zeit der Qual: Er werde «in der Hölle landen» und sei «eine Schande für den Islam», sagten ihm Schüler ins Gesicht.
Einige boykottierten seinen Unterricht und nahmen keinen Kakao mehr von ihm an, weil er unrein sei. Einmal riss ein Schüler von aussen die Tür zu dem Raum auf, in dem Inácio-Stech unterrichtete und rief hinein: «Du Schwuler, geh weg! Der Islam ist hier der Chef.» Vorgesetzte, so berichtet der Pädagoge, hätten ihn allein gelassen. Stattdessen kam der Vorwurf auf, er sei einem Schüler zu nahe gekommen. Gegen die Lehrerin, die ihn erhoben hat, hat Inácio-Stech Anzeige wegen übler Nachrede erstattet.
Nun beschäftigt die Angelegenheit die Berliner Politik: Offenbar beschwerte sich Inácio-Stechs Anwalt im Dezember 2024 bei der Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch über die Schulleitung.
Auf Nachfrage erklärte die Christdemokratin nun, erst im Mai Kenntnis von dem Schreiben erhalten zu haben; später sagte sie, es doch schon im Dezember gelesen und vergessen zu haben. Dass Günther-Wünsch am Montag von «gegenseitigem Fehlverhalten» sprach, stösst Inácio-Stech sauer auf: Die Politikerin betreibe damit eine «Täter-Opfer-Umkehr».
Der Fall ist ein Beispiel dafür, wie Teile der deutschen Politik Missstände im Bildungswesen und bei der Integration gerne verdrängen würden. Dass es die linksliberale «Süddeutsche Zeitung» war, die ihm landesweite Aufmerksamkeit verschaffte, macht allerdings Hoffnung: Derartige Vorfälle werden weniger unter den Teppich gekehrt als auch schon, und wer sie anspricht, muss nicht mehr befürchten, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Das spricht für eine gewisse Entkrampfung der Debatte.
Aber offensichtlich sind es die Linken, die Anti-Woke sind, weil sie dies nicht sehen und verleugnen.