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EU will Asylpolitk umkrempeln – das betrifft auch die Schweiz

Die EU will ihre Asylpolitk umkrempeln – und das betrifft auch die Schweiz

Die Europäische Union will ihre Migrations- und Asylpolitik im September neu organisieren. Mit Auswirkungen auf die Schweiz.
03.08.2020, 06:58
Remo Hess, Brüssel / ch media
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Die Europäische Union stellt sich selber gerne als Wertegemeinschaft dar. Wenn es aber um die Migrationspolitik geht, ist es oft nicht weit her mit den gemeinsamen Werten. Das zeigte sich Anfang Juli vor der Küste Maltas: Ein libanesischer Viehfrachter hatte auf Anweisung maltesischer Behörden 50 Migranten aus Seenot gerettet.

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Bootsflüchtlinge vor der libyschen Küste: In Zukunft soll bereits an der EU-Aussengrenze darüber entschieden werden, ob sie überhaupt Asyl beantragen können oder nicht.Bild: AP

Weil das Schiff weder in einen italienischen noch in einen maltesischen Hafen einlaufen durfte, mussten die Flüchtlinge während Tagen in den verdreckten Kuhställen ausharren.

Die Symbolik war verheerend: Die EU-Wertegemeinschaft behandelt Menschen wie Tiere. Als Vertragspartnerin beim Dublin-Abkommen, das die Asylpolitik der EU koordiniert, ist die Schweiz im Bereich Migration Mitglied dieser Gemeinschaft.

Mitte September nun soll der Vorschlag für einen neuen europäischen «Pakt für Migration und Asyl» auf dem Tisch liegen. Aus diesem Anlass reiste Bundesrätin Karin Keller-Sutter kürzlich nach Berlin und traf sich mit Innenminister Horst Seehofer.

Laut Justizministerin Keller-Sutter versicherte ihr Seehofer, dass die Schweiz in die Diskussion über den neuen Pakt eng eingebunden werde. Für die Schweiz sei das politisch «sehr wichtig», auch weil der neue Pakt einer eigentlichen «Ablösung des heutigen Dublin-Systems» gleichkomme.

German Interior Minister Horst Seehofer, right, and Switzerland's Justice Minister Karin Keller-Sutter brief the media after a meeting at the Interior Ministry in Berlin, Germany, Tuesday, July 2 ...
Karin Keller-Sutter, Schweizer Justizministerin, und Horst Seehofer, Deuschtlands Innenminister, diskutierten vergangene Woche in Berlin über den geplanten neuen EU-Asylpakt.Bild: keystone

Beschleunigte Asylverfahren nach Schweizer Art

Tatsächlich: Das Dublin-Abkommen könnte mit der komplett-Überarbeitung so stark verändert werden, dass in der Schweiz eine neue Volksabstimmung nötig wird. Auf Anfrage will sich das Eidgenössische Polizei- und Justizdepartement (EJPD) zur Möglichkeit einer neuen Volksabstimmung nicht äussern.

Für eine klare Aussage sei es noch zu früh. Kommunikationschef Christoph Nufer verweist aber auf das allgemeine Prozedere der EU-Rechtsübernahme, die immer dann als völkerrechtlicher Vertrag gilt, wenn «neue Rechte oder Pflichten» eingeführt werden. Dann komme es in der Schweiz zu einer parlamentarischen Debatte – mit Referendumsmöglichkeit.

Für Beobachter ist es sehr wahrscheinlich, dass beim EU-Pakt für Migration und Asyl solche «neue Rechte und Pflichten» für die Schweiz entstünden. Immerhin geht es vom Prinzip her um eine Neuaufteilung der Verantwortlichkeiten: Nicht mehr nur jene Länder, wo die Asylsuchenden erstmals EU-Boden betreten, sollen die Verantwortung tragen, sondern vermehrt alle EU-Staaten gemeinsam.

Ein Schlüssel-Element bei der Reform sollen beschleunigte Asylverfahren sein. Gerade hier könnte sich die Schweiz mit ihrem Wissen einbringen, glaubt Keller-Sutter. Seit der Revision des Asylgesetzes vor rund einem Jahr sind in der Schweiz neue, schnellere Asylprozedere in Kraft.

Binnen weniger Tage wird auf Bundesebene abgeklärt, ob eine Person grundsätzlich Aussicht auf Asyl hat. Nur falls das der Fall ist, kommt ein erweitertes Verfahren zum Tragen, bei dem die Kantone die Führung übernehmen.

Asylfrage soll an EU-Aussengrenze geklärt werden

Auf einen vergleichbaren Ansatz steuert auch die EU zu. In einem Entwurf zum neuen Migrationspakt vom April ist von Vorabverfahren die Rede. Sie sollen direkt an den EU-Aussengrenzen in speziell zugewiesenen Zonen stattfinden. Beamte des Europäischen Asylbüros und der Grenzschutzagentur Frontex könnten diese Verfahren durchführen.

Wer keine Chance auf Asyl hat, dem soll der Zutritt auf EU-Territorium untersagt werden. Mit einer frühzeitigen Ermittlung der Schutzberechtigten würde auch die Zahl jener verringert, welche am Schluss für eine Umverteilung auf die EU-Länder infrage kämen. Soweit zumindest die Theorie.

In der Praxis gibt es nach wie vor grosse Hindernisse. Angefangen damit, dass kaum ein EU-Land solche Verfahrenszentren bei sich einrichten möchte. Die chaotischen Zustände in den griechischen Hotspots dienen vielen als abschreckendes Beispiel.

Zweitens fehlen die Instrumente, um Herkunft- und Transitländer zum Abschluss von Rücknahmeabkommen zu überzeugen. Drittens sperren sich gewisse EU-Staaten noch immer gegen jede Art von Flüchtlings-Verteilung. Und viertens haben die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel zum Corona-Hilfspaket kürzlich das Geld für die Frontex-Grenzschutzagentur zusammengestrichen.

Laut Seehofer sollen es statt 10.3 Milliarden Euro neu nur noch 5.9 Milliarden sein. Das könnte den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik gefährden.

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Sommaruga auf der griechischen Flüchtlingsinsel Lesbos
Video: srf
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139 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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neutrino
03.08.2020 09:06registriert Mai 2017
Es macht die Sache nicht besser, aber die Asylpolitik der EU ist im internationalen Vergleich aus menschenrechtlicher Sicht nicht so verheerend wie anderswo. Insbesondere, AUS, alle asiatischen Staaten, die arabischen Staaten (Katar, SA, etc.), die USA, etc. sind fast durchwegs gnadenloser mit Flüchtlingen (auch mit echten).

Es ist halt einfach ein Dilemma: zB. herrscht im ganzen Sudan kein Rechtsstaat und Menschenrechte werden durchs Band verletzt. Aber einfach dem ganzen Sudan hier in Europa Schutz zusprechen wollen, geht nicht...
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Geläutert
03.08.2020 09:56registriert April 2020
Oft bemangeln einige die fehlende Empathie der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen.. Ich denke mal das Problem ist, dass über 60% derjenigen die es in die EU schaffen nicht mehr Gründe haben hier sein zu dürfen, als der ganze Rest der Welt.

Hinzu kommt, dass es völlig egal ist, ob jemand in Europa Asyl bekommt oder nicht. Wenn man mal hier ist hat man es quasi geschafft. Eine Rückführung kann durch rechtsstaatliche Mittel so lange hinausgezögert werden, bis weitere 'Tatsachen' geschaffen werden um eine Rückführung zu verunmöglichen. Gestützt durch staatlich und privat finanzierte NGO's...
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Kanuli
03.08.2020 07:17registriert Mai 2020
In Ländern, welche nicht unbedingt Krieg haben, könnte man doch eine Art Konsulat aufmachen, wo die Menschen ihre Gesuche einreichen können, bevor sie sich auf diesen gefährlichen Weg machen, nur um dann wieder abgeschoben zu werden. Würde aber vermutlich die Hürde zu gering setzen, wodurch es dann noch mehr Anträge gäbe?
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