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Per Autostopp um die Welt

Per Autostopp um die Welt – Woche 89: Von San Cristóbal de las Casas nach Flores

Unsere tägliche Tortilla gib uns heute

11.02.2017, 10:0211.02.2017, 12:37
Thomas Schlittler
Thomas Schlittler

«Auch diese Tortillas sind von uns», sagt Miguel schmunzelnd. Der dreifache Familienvater sitzt mit meiner Freundin Lea, meinem Kumpel Tschügge und mir in einem kleinen Restaurant im südmexikanischen Niemandsland und schiebt sich das mexikanische Grundnahrungsmittel genüsslich in den Mund. Die Tortilla wurde aus dem Teig seines Arbeitgebers hergestellt.

Der Schriftzug auf Miguels Hemd verrät, für wen er arbeitet: Für Maseca, eine Marke, die zum grössten Tortilla-Konzern der Welt gehört.
Der Schriftzug auf Miguels Hemd verrät, für wen er arbeitet: Für Maseca, eine Marke, die zum grössten Tortilla-Konzern der Welt gehört.bild: thomas schlittler

Miguel arbeitet seit 13 Jahren für Maseca. Das Unternehmen ist Teil des mexikanischen Gruma-Konzerns, des weltweit grössten Herstellers von Maismehl und Tortillas. Angefangen hat die Erfolgsgeschichte von Gruma 1949. Damals stiess Firmengründer Roberto González Barrera zufällig auf eine Maschine, die Maismehl herstellt. Barrera kaufte sie für viel Geld – und trieb sich damit fast in den Ruin. Denn die Qualität war so schlecht, dass Barreras Tortillas nicht einmal seiner eigenen Familie schmeckten.

Doch nicht allen gefällt die Industrialisierung der Tortilla. Elvira, die uns vor ein paar Wochen spontan zum Essen eingeladen hat, macht ihre Tortillas noch ganz traditionell von Hand.
Doch nicht allen gefällt die Industrialisierung der Tortilla. Elvira, die uns vor ein paar Wochen spontan zum Essen eingeladen hat, macht ihre Tortillas noch ganz traditionell von Hand.bild: thomas schlittler

Teil 1 in Mexiko bis zur Grenze Guatemala:

Selbst als der Teig besser wurde, hatte der Unternehmer zunächst grosse Mühe, die mexikanischen Hausfrauen davon zu überzeugen, die Herstellung ihres Tortillateigs seiner Maschine zu überlassen. Schliesslich siegte aber die Bequemlichkeit und Barreras Unternehmen startete durch. Heute beschäftigt der Gruma-Konzern weltweit rund 18'000 Menschen und erzielte 2015 einen Umsatz von rund 3,5 Milliarden Franken. Der wichtigste Markt für Gruma ist mittlerweile nicht mehr Mexiko sondern die USA – dank des kulinarischen Heimwehs der Millionen Exil-Mexikaner.

Ein Milliardenimperium dank Tortillateig? Nach zwei Monaten in Mexiko überrascht mich das nicht mehr. Denn in Mexiko ist die Tortilla allgegenwärtig. Sie ist mehr als das tägliche Brot, wie wir es in der Schweiz kennen. Tortilla wird nicht nur zum Frühstück gegessen, sondern gehört auch bei jeder anderen Mahlzeit dazu. Selbst wenn man ein üppiges Menü bestellt, das problemlos satt macht, stellt die Kellnerin zusätzlich noch ein Körbchen auf den Tisch, in dem dampfend heisse Tortillas liegen – in der Regel liebevoll eingepackt in ein Tüchlein.

Teil 2 ab Grenze Guatemala:

Es gibt kaum etwas Essbares, was die Mexikaner nicht in ihre Tortillas stopfen: Fleisch, Meeresfrüchte, Käse, Gemüse – und dazu ein bisschen Guacamole oder eine scharfe Salsa. Auch was die Zubereitung betrifft, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Und selbst wenn die Tortillas nicht mehr frisch sind, werden sie nicht einfach weggeworfen, sondern zerschnitten und zu einer Art Flädlisuppe verarbeitet oder aber frittiert und zu Tortilla-Chips gemacht.

Und zwar von A bis Z ...
Und zwar von A bis Z ...bild: thomas schlittler

Ein Mexikaner isst im Schnitt zwischen 70 und 100 Kilogramm Tortillas pro Jahr – je nach Quelle. Wie viel das ist, rechnet der deutsche Journalist Jürgen Neubauer in seinem Buch «Mexiko – ein Länderporträt» eindrücklich vor: Aneinander gelegt reichen die Tortillas, die 110 Millionen Mexikaner an einem einzigen Tag verdrücken, mehr als fünf Mal um den Äquator. Mit einer Jahresration könnte man eine zweispurige Autobahn zum Mond bauen, und in tausend Tagen ganz Mexiko mit seinen rund 2 Millionen Quadratkilometern vollständig zupflastern.

Die ganze Woche, zusammengefasst in diesen Bildern: 

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Per Autostopp um die Welt - Woche 89: Von San Cristóbal de las Casas (Mexiko) nach Flores (Guatemala
Unsere Woche beginnt mit einem Tagesausflug zum Canon del Sumidero, ein Canyon mit bis zu über 1000 m hoch aufragenden Felswänden. quelle: thomas schlittler
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«Im Vergleich mit diesen Zahlen sind die 30 Tonnen Maismehl, die Miguels Grosskunde alle zwei, drei Wochen kauft, fast vernachlässligbar. Doch Miguel setzt sich trotzdem 10 Stunden ins Auto, um dem Geschäftspartner die Hand zu schütteln: „Kundenpflege ist wichtig, denn die Konkurrenz schläft nicht.» Sein Arbeitgeber Gruma ist in Mexiko zwar nach wie vor klarer Marktführer, aber mittlerweile wollen auch andere mit der industriellen Produktion von Maismehl und Tortillas Geld verdienen.

Bild
bild: thomas schlittler

Diese Industrialisierung der Tortilla gefällt nicht allen. Einige Mexikaner sind nach wie vor der Meinung, dass eine selbstgemachte Tortilla um Welten besser sei als eine aus der Fabrik. Mit einem Augenzwinkern frage ich deshalb Miguel: «Was schmeckt dir besser, eine Tortilla deiner Mutter oder eine deines Arbeitgebers?» Miguel muss lachen, lässt sich aber nicht aus der Reserve locken: «Sie schmecken beide gut. Einfach etwas unterschiedlich», sagt er diplomatisch.

Hast du eine Etappe verpasst?Hier findest du sie alle:

PS: Mein Favorit unter allen Tortilla-Menüs ist übrigens der Taco al Pastor. Dieser ist mit rötlichem, perfekt gewürzten Schweinefleisch gefüllt, das an einem Drehspiess gegrillt wird. Es ist sozusagen ein Döner mexikanischer Art, der Ende des 19. Jahrhunderts dank libanesischen Einwanderern ins Land kam. Aber das ist eine andere Geschichte ...

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One-Night-Stand als Hummer
Der Sex im kleinen Zelt war so heiss, dass ich am Morgen danach sofort raus in den kalten Fluss musste.
Für meine Mutter gab es nichts Schlimmeres, als wenn wir Kinder einen Sonnenbrand hatten. Sie wurde nicht wütend, wenn wir schlechte Noten hatten oder zuhause fluchten. Andere Kinder dürfen ja nicht mal «Scheisse» sagen, meiner Mutter war das egal. Auch wenn ich zu spät nach Hause kam oder zum siebenhundertsten Mal meine verschwitzten Sachen mit dem Apfel und Sandwich im Turnsack verrotten liess – diesen Gestank vergisst man nie wieder –, egal, was wir taten, meine Mutter blieb entspannt. Ausser ich oder eine meiner Schwestern kam mit einer verbrannten Nase vom Skifahren zurück. Oder noch schlimmer: Der ganze Oberkörper war tiefrot, weil wir den ganzen Tag im Freibad verbrachten und vielleicht am Morgen einmal etwas Sonnencreme auf die Stirn rieben. Ist mir an meinem 10. Geburtstag passiert. Statt einem Happy Birthday gab's einen deftigen Zusammenschiss.
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