Das Autostöppeln in Usbekistan und Kasachstan war mühsam. Das Problem: Es gibt dort unzählige Hobby-Taxifahrer, die ihre Dienste für sehr wenig Geld anbieten. Normale Auto- oder Lastwagenfahrer kommen deshalb gar nicht auf die Idee, anzuhalten, wenn ich mit ausgestrecktem Daumen am Strassenrand stehe.
Ich musste also darauf hoffen, dass sich einer der anhaltenden Hobby-Taxifahrer dazu bereit erklärt, mich kostenlos mitzunehmen. Das ist beinahe wie betteln und sehr unangenehm. Zudem widerspricht es der Idee des Trampens: Meinen Fahrern soll schliesslich kein finanzieller Nachteil entstehen, weil sie mich mitnehmen.
Hilfe kam von Camille, einem 27-jährigen Franzosen. Der Strahlemann mit iranischen Wurzeln zeigte mir eine andere Autostopp-Variante: Er spricht Fahrer, die am Strassenrand oder an einer Tankstelle stehen, direkt an und fragt sie, ob er mitfahren darf.
Vor allem bei Lastwagenfahrern ist seine Erfolgsquote so beeindruckend, dass ich das Prinzip übernehmen werde. Denn auch in Kirgistan und in China, wo ich bald hinkomme, soll Trampen praktisch unbekannt sein.
Aber auch in Ländern, in denen die Idee des Trampens bekannt ist, rauschte die grosse Mehrheit der Fahrer an mir vorbei.
Der Ignorant ist eine sehr verbreitete Spezies. Sobald er mich am Strassenrand entdeckt, wendet er seinen Blick sofort ab und starrt hochkonzentriert geradeaus.
Wenn der Ignorant von seinen Freunden gefragt wird, ob er Autostöppler jeweils mitnehme, beteuert er, dass er noch nie einen gesehen habe. Die Ignoranten-Technik ist übrigens auch sehr beliebt, wenn in einer Fussgängerzone ein Bettler seine Hand ausstreckt.
Er hält das Hochhalten des Daumens am Strassenrand für eine Art Geisteskrankheit, macht grosse Augen, runzelt die Stirn und scheint sagen zu wollen: «Was ist denn mit dir falsch gelaufen, was machst du da?!»
Manchmal ist in seinem Gesicht aber auch eine Spur von Bewunderung abzulesen für den Typen, der sich einfach treiben lässt und sich nicht nur in der Business-Class und in Fünf-Sterne-Hotels wohl fühlt.
Er würde eigentlich gerne anhalten, kann aber nicht, weil es in seinem Auto keinen Platz hat. Er hebt beide Hände in die Luft und macht ein Gesicht, das sagen soll: «Ich würde ja gerne, aber eben ...»
Ein echter Tramper ist nicht anspruchsvoll, er nimmt seinen 20-Kilo-Rucksack gerne auf den Schoss oder legt sich zur Not in den Kofferraum.
Der Abbieger signalisiert mit hektischen Handbewegungen, dass er nicht lange auf dieser Strasse bleibt und gleich nach rechts oder links muss. Der Einheimische wiederum deutet auf den Boden, das heisst, er bleibt in dieser Ortschaft. Beide geben mir damit zu verstehen, dass sie mich gerne mitnehmen würden, es aber keinen Sinn macht.
Auch das ist wohl oft eine faule Ausrede. Wer wirklich helfen will, hält kurz an und fragt, wohin es denn gehen soll. In der Regel hilft nämlich schon eine Fahrt bis zur nächsten Kreuzung oder ans Ende des Dorfes.
Er findet es eine Sauerei, dass sich da jemand die Freiheit herausnimmt, etwas zu tun, das heutzutage nicht mehr viele Leute tun. Für ihn widerspricht Trampen jeglicher Sitte und Ordnung, er sieht darin geradezu einen Angriff auf die abendländische Kultur. Der Empörte wedelt deshalb streng mit den Fingern, um mir zu verstehen zu geben, dass ich hier verschwinden soll. Manchmal hupt er gar, um seinen Frust abzulassen.
Diese beiden Nicht-Anhalter tun am meisten weh, da sie sehr sympathisch wirken, ich sie aber nicht kennenlernen darf. Ich kann richtiggehend sehen, wie es in ihren Köpfen arbeitet, wie sie sich überlegen, ob sie ausnahmsweise einen Tramper mitnehmen sollen – doch dann siegt die Angst und sie fahren mit einem scheuen oder aufmunternden Lächeln an mir vorbei.
Bei den Scheuen – meist junge Frauen – kann ich das verstehen: Wer sich nicht hundertprozentig wohl fühlt dabei, sollte keinen fremden Mann ins Auto lassen. Doch den Aufmunternden kann ich nur sagen: Probiert es aus, ihr werdet es nicht bereuen!
Das Arschloch winkt mir beim Vorbeifahren mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht zu, macht das Victory-Zeichen oder hupt laut lachend. Im Sinne von: «Hey Hippie, schau her, ich habe einen tollen Mercedes. Und wie gehts dir so am Strassenrand?»
Wenn es sich um ein ganz trauriges Exemplar handelt, hält das Arschloch gar 50 Meter nach mir an, wartet bis ich mit meinem Gepäck zu seinem Auto gerannt bin – und fährt dann hupend davon. Letzteres ist mir in fünf Monaten aber zum Glück nur zweimal passiert.
Das Drehen der Kurzvideos wäre eine eigene Kolumne wert gewesen. Der kasachische Taxifahrer hat die Welt nicht mehr verstanden, als ich ihm zu erklären versuchte, dass ich nur kurz hinters Steuer sitzen aber nirgendwo hinfahren will.
Als ich dann anfing, meine Kamera aufzubauen und Faxen zu machen, dachte er definitiv, ich sei nicht ganz sauber. Aber er hat nicht weiter nachgefragt – schliesslich konnte er sich drei Dollar dazuverdienen, ohne etwas dafür tun zu müssen.